Alarmismus & Waldsterben: Kampfbegriff der Umweltzerstörer


Veröffentlicht am 31.05.2023 in der Kategorie Greenwash von Axel Mayer

Alarmismus & Waldsterben: Kampfbegriff der Umweltzerstörer



Gab es in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts überhaupt ein Waldsterben? Oder war alles nur "GRÜNE Hysterie & Panikmache"? Die industriegelenkte Leugnung des Waldsterbens 1.0 war ein wichtiger Bestandteil marktradikaler Kampagnen zur weltweiten Leugnung des Klimawandels im Auftrag der Öl-, Gas- und Kohlekonzerne.


Als Alarmismus bezeichnet Wikipedia "Ein politisches Schlagwort, mit dem eine unnötige oder übertriebene Warnung vor Problemen bezeichnet oder behauptet wird. Wer den Begriff verwendet, drückt damit in der Regel wertend aus, dass er die Warnungen und Ängste nicht teilt oder für stark überzogen hält." Gerade die gut organisierten Klimawandelleugner, die Verursacher des Insektensterbens und neoliberale Netzwerke nutzen den Begriff Alarmismus als Kampfbegriff in der politischen Debatte. "Es gab überhaupt kein Waldsterben und der Kampf für Luftreinheit war unnötig, dumm Alarmismus und reine Hysterie" ist die zentrale Aussage der industriegelenkten Lobbyisten der Öl- und Kohlekonzerne. Auch die FAZ, die Welt und neoliberale Netzwerke wie die "Achse des Guten" und "Tichys Einblick" verbreiten die Geschichte vom Mythos Waldsterben.


Alarmismus und Waldsterben - Konflikt 1980-2018: Proteste, saubere Luft, ökologische Fortschritt & neoliberale Angriffe auf die Umweltbewegung



Es ist Zeit einmal 30 Jahre zurück zu blicken. Das Thema Waldsterben und die massive Luft- und Umweltverschmutzung haben damals die Menschen und Medien bundesweit beschäftigt. Im Rückblick lässt sich sagen, dass der Streit für den Wald, für saubere Luft und eine bessere Umwelt eine Erfolgsgeschichte war.

Die zunehmenden sichtbaren Waldschäden,
führten ab dem Jahr 1975 zu vielfältigen Medienberichten, zu Aktionen und Demonstrationen gegen das Waldsterben und für saubere Luft. Die bundesweite Debatte um das Waldsterben verstärkte sich insbesondere um das Jahr 1983. Auch in Südbaden gab es große Demonstrationen und Aktionen für saubere Luft und gegen umweltgefährdende Industrien und Luftverschmutzer.

Mit über vierzig Jahren Abstand wird von interessierten Kreisen gerne die Frage gestellt,
ob so ein Plakat und die ganze Bewegung gegen das Waldsterben eventuell zu "heftig und undifferenziert" waren. Diese Frage wird heute insbesondere von Industrielobbyisten aufgeworfen. Gerade die gut organisierten Klimawandelleugner, die Verursacher des Insektensterbens und neoliberale Netzwerke haben sich seit Jahren auf das Thema Waldsterben eingeschossen. "Es gab überhaupt kein Waldsterben und der Kampf für Luftreinheit war unnötig, dumm Alarmismus und reine Hysterie" ist die zentrale Aussage der industriegelenkten Lobbyisten der Öl- und Kohlekonzerne. Auch die FAZ, die Welt und neoliberale Netzwerke wie die "Achse des Guten" und "Tichys Einblick" verbreiten die Geschichte vom Mythos Waldsterben.

Doch sowohl das Plakat als auch die Aktionen der Umweltbewegung in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts müssen vor dem geschichtlichen und umweltpolitischen Hintergrund der damaligen Zeit gesehen werden. Damals wie heute gab es einflussreiche und mächtige Interessengruppen, die für die uneingeschränkte "Freiheit der Industrie" stritten Gewinne zu machen, ohne Rücksicht auf Mensch, Natur und Umwelt nehmen zu müssen. Wenn sich diese Konzerninteressen damals durchgesetzt hätten, wären wir heute immer noch in der umweltpolitischen Steinzeit.

Die erkennbaren Symptome der Waldschäden nahmen damals zu,
Kinder in der Nähe von Großverbrennungsanlagen litten an Pseudokrupp, in der Nähe von deutschen Bleichemiewerken starben Kühe an Bleivergiftung, Kläranlagen waren selten und viele Bäche und Flüsse Kloaken, die Schweiz versenkte ihren Atommüll im Meer, wo auch Gifte und Dünnsäure "verklappt" wurden und Müllverbrennungsanlagen waren Gift- und Dioxinschleudern. Es war die Zeit des schweren Chemieunfalls am 10. Juli 1976 in Seveso, am 3. Dezember 1984 kam es im indischen Bhopal zu einer verheerenden Chemiekatastrophe, am 1. November 1986 verseuchte ein Großbrand beim Chemiekonzern Sandoz in Basel den Rhein und am 26. April 1986 gab es im Atomkraftwerk Tschernobyl die Reaktorkatastrophe...

Ist die Bewegung gegen das Waldsterben und für die Umwelt damals "zu weit gegangen"?
Wolf Biermann antwortete einmal auf die Frage, ob er, Biermann, da nicht ein bisschen zu weit gehe mit einem Lied, und seine Antwort lässt sich auch auf die Umweltbewegung übertragen:

"Mein Lieber, das kommt von der Arbeitsteilung.
Der Eine schweigt, und der Andere schreit.
Wenn solche wie Du entschieden zu kurz gehen,
dann gehen eben andere ein bisschen zu weit!"

Wolf Biermann: "Ballade für einen wirklich tief besorgten Freund"


Die Proteste und Aktionen gegen das Waldsterben und für saubere Luft, Flüsse und eine menschengerechte Umwelt
führten mittel- und langfristig zu einer massiven Verbesserung der Luftqualität und zu einer Zunahme des Umweltbewusstseins. Gesetze wurden auf Druck der Umweltbewegung und gegen die Lobbyisten verschärft, der PKW-Katalysator wurde eingeführt, verbleites Benzin wurde verboten, Kraftwerke und Industrieanlagen wurden entstickt, entschwefelt und zum Teil technisch auch sicherer. Auch die Düngung mancher Wälder ist ein Ergebnis der Debatte. Eine von vielen Ursachen der Walderkrankungen war der Ausstoß von Schwefeldioxid und der damit verbundene saure Regen. Hier brachte der Protest die größten Erfolge. "So konnten zum Beispiel alleine in Baden-Württemberg die SO2-Emissionen von 334.200 Tonnen 1973 auf 58.800 Tonnen 1995 reduziert werden, was einem Rückgang um über 80 % entspricht." schreibt die LUBW Baden-Württemberg. "In den alten Bundesländern lagen schon im Jahr 1994 die SO2-Emissionen um 76% unter dem Niveau des Jahres 1970." schreibt das Umweltbundesamt in den "Daten zur Umwelt" 1997.

Ob das "angekündigte aber ausgebliebene" Waldsterben wegen der Verbesserung der Luftqualität, wegen der Düngung der Wälder, wegen der schnellen Fällung kranker Bäume oder wegen veränderter klimatischer Verhältnisse nicht stattfand, wird von der Forstwissenschaft immer noch kontrovers diskutiert.

Der BUND-Spezialist Gottfried May-Stürmer sagt:
"Bei der Weißtanne ist der Fall relativ klar: Diese Art ist sehr empfindlich gegenüber Schwefeldioxid. Die Schwefeldioxid-Konzentrationen in der Luft wurden, vor allem durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, seit 1980 gewaltig reduziert. Die Abgas-Grenzwerte für KFZ wurden verschärft (Einführung des 3-Wege-Katalysators) und dazu kam noch die Begrenzung des Schwefel-Gehalts in Brennstoffen. Gerade diese Maßnahmen wurden von der Industrie in den frühen 80er Jahren massiv bekämpft und der Untergang der abendländischen Marktwirtschaft bei ihrer Einführung prophezeit. Dass die Tanne sich nicht nur als Art, sondern auch in einzelnen Individuen deutlich erholt hat, gibt Hoffnung und zeigt, dass sich der Einsatz für Luftreinhaltung gelohnt hat. Ich erinnere mich daran, wie viele Kinder noch 1985 in Heilbronn unter Pseudokrupp und anderen Atemproblemen gelitten haben, bevor das EVS-Kohlekraftwerk entschwefelt wurde.
Bei den Laubbäumen andererseits gibt es noch keine Entwarnung. Trotz einer geringen Erholung in den letzten Jahren - möglicherweise witterungsbedingt - ist der Zustand von Eichen und Buchen heute insgesamt deutlich schlechter als auf dem Höhepunkt der Diskussion ums Waldsterben. Ihre Schäden sind nur nicht so leicht zu erkennen wie die von Tannen und Fichten."


Weitere Kollateralerfolge der Debatte und Aktionen um das Waldsterben
und des geschärften Umweltbewusstseins waren regional die Einführung der preisgünstigen Regiokarte in und um Freiburg und der Ausbau des ÖPNV. Bundesweit und global kam nach massiven Protesten das Verbot von FCKW (und damit die Rettung der Ozonschicht) und die Verbesserung der Luftreinhaltung bei Industrieanlagen und Müllverbrennungsanlagen. Gesundheitsgefährdende Dioxinemissionen gingen zurück. Die bessere Luftqualität und die massive Verringerung von Schwefeldioxid und des sauren Regens ist auch ein Segen für Baudenkmäler.


Einschub: Noch mal "Alarmismus" und eine Ankündigung die nicht eintraf...


Im letzten Jahrhundert hat der BUND und die Umweltbewegung vor den massiven Folgen des DDT-Gifts auf die Vogelwelt gewarnt. Jetzt nimmt die Wahl der Wanderfalken wieder zu. Also alles Fake-News der Umweltbewegung?
Der lang zurückliegende Kampf gegen das Ultragift DDT hat sich für Vogel und Mensch gelohnt. Insbesondere vogel- und fischfressenden Greifvögel, wie der Wanderfalke oder der Sperber waren massiv bedroht. Katastrophale Bestandseinbrüche und ein DDT-bedingter erheblicher Rückgang der Eischalendicke nach 1950 wurden in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre verzeichnet. In Europa starb der Wanderfalke in Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und der DDR bis Ende der 1970er-Jahre aus. Das Verbot von DDT und die damit verbundene Bestandszunahme dieser Greifvögel ist ein großer Erfolg der Umweltbewegung. Der heutige Kampf gegen Neonicotinoide und andere Agrargifte ist für Insekten, Vögel und Umwelt ähnlich wichtig wie die frühen Konflikte um DDT. Alarmismus ist auch ein neoliberaler Kampfbegriff in der politischen Debatte.


Menschen in Ländern, in denen es diesen lauten Streit
um Umwelt und Zukunft nicht gab, leiden teilweise immer noch unter starken Umweltbelastungen. Dies gilt insbesondere für die Metastasen unseres Raubbau- und Industriesystems, beispielsweise in Indien und China. Dort gibt es noch Umwelt- und Naturzerstörung wie in Deutschland in den so genannten Aufbaujahren, und eine sich erst langsam entwickelnde Umweltbewegung.

Die Waldsterbensdebatte, die Flugblätter, Plakate, Demos und Aktionen haben die Luftreinhaltung und den ökologischen Fortschritt beschleunigt und die Lebensqualität erhöht.

Die Zeit der "guten, alten,“ offenen, sichtbaren Umweltverschmutzung
ist in Deutschland (hoffentlich) vorbei, auch wenn es gerade in Sachen Klimawandel, Gentechnik und Atomausstieg noch viel zu tun gibt. Die aktuellen, großen Herausforderungen für den BUND und die Umweltbewegung sind die Fragen des Klimawandels (gerade auch auf den Wald!), die bedrohte Biodiversität, die Endlichkeit der atomar-/ fossilen Energieressourcen und Rohstoffe, die Bedrohung des Weltfriedens durch die Verbreitung von Bio- und Atomkraftwaffen, die zunehmend demokratiegefährdende Macht der Konzerne, Fragen der globalen Gerechtigkeit, Innenweltverschmutzung und die Beantwortung der Frage, wie sich nach dem jetzigen Zeitalter der Habgier und des Raubbaus mit einem massiv verringerten Input an Energie, Rohstoffen und Arbeitszeit ein gutes Leben führen lässt.

Axel Mayer, heute BUND-Geschäftsführer, damals Aktivist und Sprecher der Bürgerinitiative Riegel


Nachtrag: Waldsterben & heutige Angriffe auf die Umweltbewegung


Im Jahr 2018 haben die Giftkonzerne Bayer, Monsanto, Syngenta und Co. ein massives Interesse von ihrer Schuld am Insektensterben und Biensterben abzulenken. Unter einem Beitrag der Badischen Zeitung gab es den folgenden Schlagabtausch...

Welchen Einfluss auf die "neutrale" Forschung in Hohenheim haben die Großkonzerne?
"Forschung benötige Geld, und dieses Geld werde "gerade im Bereich der Agroindustrie ausnahmslos von Firmen wie Bayer, BASF, Syngenta etc. zur Verfügung gestellt". Dies habe etwa dazu geführt, dass im Bienenmonitoring, in dem Imker und Bienenforschungsinstitute seit fünf Jahren gemeinsam versuchen, dem vermehrten Bienensterben auf die Spur zu kommen, vor allem Bienenkrankheiten wie die Varroa-Milbe untersucht worden seien. Der Frage, welche Rolle Pflanzenschutzmittel oder gentechnisch veränderte Pflanzen spielten, seien die Wissenschaftler hingegen nicht nachgegangen. "Wir müssen aber mehr wissen", sagt Imkerpräsident Maske. "Wie wirkt der Pollen von gentechnisch verändertem Mais auf die Brut?", fragt er. "Werden Pestizide im Wachs gespeichert, oder wie wirkt ein Cocktail verschiedener Gifte?" schreibt die TAZ
Ich finde die Frage spannend und wichtig, ob die Giftindustrie auch Forschungsvorhaben in Hohenheim finanziert... Bei der Frage der Insektenvergiftung hat Hohenheim bisher keine rühmliche Roll gespielt.
Axel Mayer, BUND-Geschäftsführer 19. Mai 2018 - 22:41 Uhr


"..da verdreht man als Wissenschaftler manchmal ein bisschen die Augen" - Immer wieder erstaunlich, wie Erkenntnisse für einen vermeintlich guten politischen Zweck verdreht werden. Hat diese Unsitte beim "Waldsterben" angefangen?
Berthold Metzler 20. Mai 2018 - 09:34 Uhr


Diese "Reaktion" ist der klassische Versuch mit Zweifeln am "Waldsterben" eine Kritik an der Einflussnahme von Bayer, Monsanto, Syngenta und Co. auf die Wissenschaft zu diskreditieren. Es gibt immer mehr (auch von Konzernen bezahlte) Lobbyisten in den Diskussionsforen der Medien.



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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


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