1995-2020 / Kein Genmais in Buggingen: Erfolgreiche Ackerbesetzung vor genau 25 Jahren / Ein Rückblick
Veröffentlicht am 31.05.2020 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer
1995-2020 / Kein Genmais in Buggingen: Erfolgreiche Ackerbesetzung vor 25 Jahren / Ein Rückblick
Vor 25 Jahren, am 1. Juni 1995 begann die erste von zwei erfolgreichen Ackerbesetzungen gegen die geplanten Freilandversuche für gentechnisch veränderten Mais im südbadischen Buggingen bei Freiburg.
Der gentechnische Freilandversuch der holländischen Firma van der Have in Buggingen wurde von 1995 bis 1997 durch vielfältige Aktionen von UmweltschützerInnen, von Bürgerinitiativen und BUND verhindert. Über zwei lange Sommer hinweg gab es auf dem Genacker monatelange Feldbesetzungen, stark mitgetragen auch von der örtlichen Bevölkerung. Der Genmais konnte nicht ausgesät werden. Er war mittels hochproblematischer Antibiotika-Resistenzgenen hergestellt worden. Ein Gen aus einem Bodenbakterium war eingebaut worden, um den Mais gegen den Einsatz von Totalherbiziden resistent zu machen.
Der Bugginger Erfolg bestärkte die europäische Umweltbewegung im Konflikt mit den Gen-Multis.
Es war einer dieser Konflikte in die vernünftige Menschen, angesichts der ungeheuren Macht der Konzerne, ziemlich verzweifelt hinein gehen. Wer hätte damals, vor genau 25 Jahren, einen nahezu europaweiten Gentechnik-Rückzug von van der Have, Syngenta, Bayer/Monsanto und BASF für möglich gehalten? Wer hätte gedacht, dass es heute nicht nur am Oberrhein, sondern in ganz Europa so viele Bündnisse gegen Gentechnik in der Landwirtschaft geben würde?
Unsere damaligen Sorgen und Befürchtungen haben sich in vielerlei Hinsicht bestätigt:
- Die Anwendung von Gentechnik und Totalherbiziden in der außereuropäischen Landwirtschaft verstärkt die globale Tendenz zur großen, globalen, artenvernichtenden Agrarfabrik, die keine Bauern mehr braucht, sondern landwirtschaftliche Angestellte von global agierenden Agrar-Konzernen
- Zunehmende, massive Gesundheitsgefahren durch Antibiotikaresistenzen zeigen wie berechtigt die Sorgen vor den damals zum Einsatz geplanten Marker-Genen waren. Das für Fragen der Gentechnik zuständige Expertengremium der EFSA hat zwischenzeitlich empfohlen, keine neuen transgenen Pflanzen mehr zuzulassen, wenn sie Resistenz-Gene gegen medizinisch wichtige Antibiotika enthalten
- 1998 gab es ein EU-Moratorium für den Anbau von genveränderten Pflanzen. In der Praxis betraf das den damals bereits zugelassenen GVO-Mais MON 810. Das Moratorium wurde wissenschaftlich damit begründet, dass die Auskreuzung von Fremdgenen über Pollenflug bekannt geworden war, die die Betreiber in Buggingen noch bestritten hatten.
- Das Auftreten von Schädlingen, die gegen die Bt-Proteine gentechnisch veränderter Nutzpflanzen resistent sind, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Nicht weniger, (wie 1995 von der Genlobby behauptet) sondern mehr Pestizide werden in der globalen "Gentechnik-Landwirtschaft" eingesetzt. Es zeigt sich, dass die damaligen, vorgeschobenen, scheinökologischen Argumente der Genkonzerne Lug und Trug waren.
Manchmal ist die Geschichte auch "ein wenig gemein" zu Umweltaktiven...
1995 waren fast alle Bio-Landwirte und ein kleiner Teil der konventionellen Bauern auf Seiten der Umwelt-Aktiven und Ackerbesetzer. Heute finden fast alle Landwirte die damalige Aktionen gut. Durch die Ackerbesetzungen konnte die Auskreuzung von Genmaispollen auf die umliegenden Felder verhindert werden. Der Mais am Oberrhein ist immer noch gentechnikfrei. Der Mais und das Maissaatgut vom Oberrhein kann auf den Weltmärkten teurer verkauft werden. Großabnehmer von Mais, z.Bsp. Tereos Syral (früher Jungbunzlauer in Marckolsheim), die ihren Mais bisher aus den USA bezogen, nehmen jetzt für die Nahrungsmittelproduktion auch gentechnikfreien Mais vom Oberrhein. So haben die Besetzungen, als ungeplanten Nebeneffekt, durchaus auch den konventionellen Maisanbau am Oberrhein gefördert.
Der Rückzug von van der Have und die damit verbundene Niederlage von Syngenta, Bayer/Monsanto und BASF im kleinen südbadischen Buggingen war ein wichtiger Teilerfolg der europäischen Umweltbewegung. Der, ein viertel Jahrhundert später, fast vergessene Bugginger Protest und die zweisommerlichen Ackerbesetzungen brauchen den Vergleich mit den erfolgreichen AKW-Protesten in Wyhl, Kaiseraugst und Gerstheim nicht zu scheuen.
Angesichts der Konzernmacht waren die Ackerbesetzungen 1995 und 1997 für viele Menschen ein Akt der Verzweiflung und der Versuch, das Unmögliche zu versuchen. Wir haben einen für unmöglich geglaubten Teilerfolg erreicht, auch wenn die Macht von Syngenta, Bayer/Monsanto und BASF natürlich noch lange nicht gebrochen ist. Heute werben die noch mächtiger gewordenen Konzerne für "neue Züchtungsmethoden" wie CRISPR Cas, die natürlich auch Genmanipulation sind. Es werden mit denselben Versprechungen Stimmung gemacht wird wie 1995 für die "alte" Gentechnik. Für das immer noch bestehende Problem, dass sich eine zukünftige Weltbevölkerung von 10 Milliarden Menschen ausreichend, gerecht und gesund sowie selbstbestimmt ernähren kann, muss nach wie vor um Lösungen gerungen werden. Buggingen war ein kleiner, aber wichtiger Schritt auf dem langen Weg zur Ernährungssouveränität.
Welthunger und gleichzeitig explodierende globale Über- und Fehlernährung zeigen Fehlentwicklungen und Verteilungsprobleme. Das weltweite, sich beschleunigende Artensterben und Bauernsterben, die Überdüngung der Gewässer, Flüsse und Meere, die absehbare Endlichkeit von Phosphat, die massiven Kollateralschäden der Gentechnik in der Landwirtschaft in den Ländern des Südens und die gesundheitlich langfristig verheerenden Auswirkungen von Antibiotika in der Massentierhaltung zeigen, dass die "große, globale Agrarfabrik", die der agro-industrielle Komplex gerade durchsetzt, nicht die Lösung für die Zukunft ist.
Im großen, globalen Krieg des Menschen gegen die Natur und damit gegen uns selber, haben wir in Buggingen die Zerstörungsprozesse entschleunigt und einen kleinen, wichtigen, regionalen Teilerfolg erzielt. Wir waren Sand im Getriebe der geplanten, giftdominierten globalen Agrarfabrik. Es lohnt, sich zu engagieren. Mein Dank geht an die unzähligen Aktiven, an Freundinnen und Freunde.
Axel Mayer, (Alt-)BUND-Geschäftsführer, Mitwelt-Stiftung-Oberrhein und zufriedener "Alt-Ackerbesetzer"
Hier mehr Erfolge der Umweltbewegung
Buggingen, Genmais & Besetzung
Buggingen, Genmais & Ackerbesetzung
Mit Langeweile gegen den Gen-Mais
Südbadische Öko-Initiative verhindert mit einem Feldcamp den Anbau manipulierten Saatgutes
Berliner Zeitung: 07.08.1995
Karl-Otto Sattler, Freiburg
Im südbadischen Buggingen verhindern seit Anfang Juni Öko-Gruppen mit einer "Ackerbesetzung" die Aussaat von genmanipuliertem Mais. Bis September müssen sie aushalten, dann ist die Schlacht für dieses Jahr gewonnen.
Richtig häuslich eingerichtet hat sich das Völkchen auf dem Feld bei der Markgräfler Gemeinde Buggingen am Oberrhein. In kleinen Rundzelten kriechen die Frauen und Männer nachts in ihre Schlafsäcke. Tagsüber versammeln sie sich im Schatten von Zeltvordächern an Tischen oder dösen gelangweilt in Liegestühlen vor sich hin. Immerhin sorgt mittlerweile ein von Solarzellen mit Strom gespeister Kühlschrank für erfrischende kalte Getränke in der Einöde. Mit Urlaubsspaß hat das nichts zu tun: Transparente machen deutlich, daß es um Politik geht - um eine Protestaktion gegen die Aussaat von genmanipuliertem Mais.
Erfolgreiche Wühlmäuse
Seit Anfang Juni dauert diese "Ackerbesetzung" bereits, organisiert von einer Bugginger Bürgerinitiative und unterstützt vom Regionalverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Abwechselnd schieben die Öko-Aktivisten Tag und Nacht Wache auf dem unbepflanzten "Gen-Camp" inmitten von weiten Maisfeldern. Mit einem Handy werden im Bedarfsfall die Sympathisanten mobilisiert.
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Zwei Mal schon seit der ersten Platzbesetzung ging der Alarmruf rund, weil die holländische Saatgutfirma van der Have Traktoren schickte. Doch von der Polizei räumen läßt die Firma nicht. Die Umstehenden nicken, wenn BUND-Sprecher Axel Mayer sagt: "Wir halten bis September durch" - dann kann endgültig kein Mais mehr ausgesät werden.
Eine solch konsequente Widerstandsaktion wie im südbadischen Buggingen läuft nur noch im hessischen Wölfersheim, wo die Umweltinitiative "Wühlmäuse" ebenfalls seit Anfang Juni ein Versuchsfeld besetzt hält. Andernorts konnten Proteste die Freiluft-Gentests nicht verhindern - zum Beispiel im schwäbischen Renningen bei Böblingen, in Tarnow und Rukieten (Mecklenburg-Vorpommern). Alle Freilandversuche sind vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin genehmigt.
In Buggingen unternimmt van der Have schon seit langem Saatgutexperimente. Dieses Mal soll beim Mais das sogenannte Totalherbizid "Basta" getestet werden: Das Mittel tötet radikal alles Grünzeug ab, und eine Genmanipulation soll den Mais gegen "Basta" resistent machen - so können auf einfache und effiziente Weise Maisfelder von Unkraut "gereinigt" werden.
Was für Saatgutfirmen und Chemieunternehmen wie Hoechst lediglich eine methodische Ergänzung der normalen Pflanzenzüchtung ist, ruft hingegen Umweltschützer auf den Plan. Karl-Otto Nagel meint als Sprecher der Markgräfler Bürgerinitiative, daß über die Risiken der Genmanipulation, über die Wechselwirkung mit der Umwelt noch viel zuwenig bekannt sei. Es wird befürchtet, daß neue Substanzen entstehen, die Allergien oder Krebs auslösen. Kritiker warnen vor einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft und wachsender Abhängigkeit der Bauern von Chemieunternehmen.
Gegen die Genehmigung des Bugginger Freilandversuchs durch das RKI haben Mitglieder der Bürgerinitiative Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht in Berlin eingereicht. Beim RKI ist man indes überzeugt, diesen Prozeß zu gewinnen - wie schon alle anderen Rechtsstreitigkeiten dieser Art.
Debatte mit Manager
Wenn die südbadischen Protestler auch unbeugsam in ihrem Widerstand sind, so finden sie es doch gut, daß sich die Verantwortlichen bei van der Have immerhin der öffentlichen Diskussion stellen. Manager debattierten bereits auf dem besetzten Acker und äußerten sich auch bei einer Versammlung vor über 300 Gegnern.
Ackerbesetzung / Buggingen / Plakate
Plakat, Umwelt, Gentechnik: Aktionsbündnis / Zwei von vielen Plakaten der Ackerbesetzung gegen Genmais 1995 in Buggingen.
Plakat, Umwelt, Gentechnik: Buggingen / Eines von vielen Plakaten der Ackerbesetzung gegen Gentechnik 1995 in Buggingen.
Plakat, Umwelt, Gentechnik: Gen-food, Buggingen / Eines von vielen Plakaten der Ackerbesetzung gegen Gentechnik 1995 in Buggingen.
Plakat, Umwelt, Gentechnik: Gen-Mais / Eines von vielen Plakaten der Ackerbesetzung gegen Gentechnik 1995 in Buggingen.
Plakat, Umwelt, Gentechnik: Osterspaziergang / Eines von vielen Plakaten der Ackerbesetzung gegen Gentechnik 1995 in Buggingen.
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