Atompropaganda & Greenwash / Werbung für Atomkraft, Atomkraftwerke, Nuclear Pride Coalition & Laufzeitverlängerung


Veröffentlicht am 22.09.2018 in der Kategorie Greenwash von Axel Mayer

Atompropaganda & Greenwash / Werbung für Atomkraft, Atomkraftwerke, Nuclear Pride Coalition & Laufzeitverlängerung


Nach Fukushima war die Atomlobby für kurze Zeit ein wenig in Deckung gegangen. Aufgegeben hat sie nicht. Jetzt beginnt eine massive, globale Werbekampagne für die Gefahrzeitverlängerung der bestehenden Reaktoren und für neue AKW. Doch die Atom-Propaganda wurde optimiert und die Konzerne treten nicht mehr öffentlich in Erscheinung. PR-Agenturen gründen Schein-Bürgerinitiativen und rechte und neoliberale Netzwerke rühren die Werbetrommel. In der Nuclear Pride Coalition, tarnen sich Lobbyisten als Umwelt-Aktivisten und weltweit spielen Vorfeldorganisationen der Konzerne Umweltbewegung. Solche PR-Kampagnen wurden in der Vergangenheit häufig begleitet von bezahlten Trollen, die unter wechselnden Identitäten Hunderte von Leserbriefen schreiben und die Internetforen, (nicht nur) der Medien, mit Werbebotschaften fluten. AuchWikipedia-Manipulation gehört zum Alltagsgeschäft von Werbeagenturen und Konzernen.

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Die Strategien der Atomlobby
Radikal aktiv


Von Axel Mayer (Die Rechte an diesem Beitrag liegen beim Autor. Sie können diesen Text gerne verwenden (Belegexemplar oder Link!) Ich bitte dann allerdings um diesen Hinweis: "Erstveröffentlichung in der Zeitschrift politische ökologie 117 - 2009" .

[b]Ein Beitrag aus der Fachzeitschrift politische ökologie 117 - 2009
Vom Strippenziehen. Die Folgen von Lobbying & Korruption für Umwelt und Gesellschaft


Um die Bevölkerung für ihre Interessen zu begeistern,
ist AKW-Betreibern wie EnBW, RWE, Vattenfall oder E.ON kein Preis zu hoch und keine Methode zuwider. In geschickt inszenierten Kampagnen verbreiten sie Halbwahrheiten, verschleiern Tatsachen oder rühmen Selbstverständlichkeiten. Selbst die Umweltbewegung drohen sie zu spalten

Willst du wirklich mit mir Schluss machen?
Diese Frage, die so viele Assoziationen auslösen kann, steht seit ein paar Monaten auf gut gemachten Werbepostkarten, die bundesweit kostenlos in zahlreichen Kneipen und Läden ausliegen. Erst ein Blick auf ihre Rückseite zeigt, dass sie vom Deutschen Atomforum stammen und Stimmung gegen den Atomausstieg machen sollen. Kurz vor der richtungsweisenden Bundestagswahl 2009 läuft die Werbung der Atomlobby auf Hochtour. Doch sie war nicht immer so perfekt, aufwendig und teuer gestaltet wie heute.

Am Anfang der sogenannten friedlichen Nutzung der Kernenergie
standen zwar die Atombombe und deren Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Doch die Anfänge der Atomenergienutzung in Deutschland waren nicht von großen Protesten begleitet. Und in Kinos, Schulen sowie im Fernsehen lief der Film "Unser Freund das Atom" von Walt Disney, um das Image der Kernenergie zu verbessern. Völlig überraschend für die Atomwirtschaft und die Politik besetzte die Bevölkerung im südbadischen Wyhl im Jahr 1975 den Bauplatz eines AKW Geländes und verhinderte so den Bau des Kraftwerks. Fast zeitgleich wurden in Kaiseraugst (Schweiz) und Gerstheim (Frankreich) am Oberrhein zwei weitere Atomkraftwerke durch Bauplatzbesetzungen verhindert, die Proteste in Brokdorf, Kalkar, Grohnde und Malville eskalierten.

Chancen hochjubeln, Gefahren verschweigen
Die Niederlage im Wyhler Wald und das Erstarken der Umweltbewegung registrierten die Chefetagen der Atomindustrie und der Wirtschaft sehr genau. Meinungsforschungsinstitute wie das US-amerikanische Battelle-Institut analysierten diesen Widerstand und die Atomlobby entwickelte neue, geschickte Durchsetzungsstrategien. Forschung mit dem Ziel, Akzeptanz für gefährliche und umstrittene Anlagen und Technologien zu schaffen, war angesagt.

Die Badenwerk AG, die heutige Energie Baden-Württemberg AG (EnBW),
beauftragte 1975 die Hamburger Werbeagentur Drews, Verfahrensstrategien zu entwickeln, die eine zügige Überwindung des Widerstandes in der Bevölkerung garantieren sollten. Vorgeschlagen wurden damals unter anderem Strategien, die auch heute noch zum Einsatz kommen:


Diese über drei Jahrzehnte alten Taktiken
kommen einem angesichts mancher aktueller Argumente der Atomwirtschaft seltsam bekannt vor. Wie können die Atom und Kohlekonzerne heute die Ängste der Gegenwart besser durch die Ängste der Zukunft überdecken als mit der inhaltlich zwar falschen, propagandistisch aber perfekten Kampagne von den Klima schützenden Atomkraftwerken?

Die Zeiten, in denen kleine Werbebüros PR-Aufträge mit dieser Zielvorgabe von der Industrie bekamen,
sind vorbei. Heute engagiert die Industrie die größten Werbeagenturen der Welt, beispielsweise Burson-Marsteller. Die Firma berät alle, die es nötig haben und über das erforderliche Kleingeld verfügen: Seriöse und weniger seriöse Großkonzerne, Diktaturen, Militärmachthaber oder Firmen, die Umweltkatastrophen klein reden wollen. Aus einem internen Strategiepapier für den Eueuropäischen Gentechnikverband EuropaBio geht hervor, wie die Bevölkerung an die Gentechnik gewöhnt werden soll. Der Industrie wurde empfohlen, Diskussionen über sogenannte Killing Fields (deutsch: Schlacht felder), die realen Umwelt- und Gesundheitsrisiken der Gentechnologie, zu vermeiden. Nicht die Gefahren, sondern lediglich die Chancen der Gentechnik sollen diskutiert werden. Und wenn es in Wahlkampfzeiten darum geht, Akzeptanz für Atomenergie zu schaffen, darf über alles öffentlich diskutiert werden, nur eben nicht über die Killing Fields dieser Technik. Themen wie Kinderkrebs, das Entweichen von Radioaktivität im Normalbetrieb, Unfallfolgen und die Gefahr der Weitergabe von atomwaffentauglichem Material sind nach dem Willen der Lobby unbedingt zu vermeiden.

Manipulationsgeschäfte boomen
„Es gibt keine menschengemachte Klimaveränderung“, das war eine der vielen erfolgreichen Kampagnen von Burson-Marsteller. Um das Jahr 1990 lancierte das weltweit agierende PR-Unternehmen im Auftrag von Ölfirmen und Autoherstellern in den USA eine massive und erfolgreiche Anti-Klimaschutzkampagne. Dabei spielten sie aus wirtschaftlichen Interessen ihrer Klienten die Gefahr der Klimaerwärmung herunter. Der Schaden dieser Kampagne für das Weltklima ist unabsehbar. „Wegen der Klimaveränderung brauchen wir unbedingt mehr Atomkraftwerke.“ Das ist erstaunlicherweise die gegensätzliche, neue Werbebotschaft der Atom-Industrie, für die Burson-Marsteller nun arbeitet. Jetzt wirbt die Agentur für die Atomlobby und singt das hohe Lied des Klimaschutzes und der klimafreundlichen Atomenergie. Wie in den Kampagnen der Klimawandel-Leugner wird wieder mit Halbwahrheiten argumentiert, der Erfolg in den Mainstream-Medien ist leider wiederum beträchtlich. Für die AKW-Laufzeitverlängerung in Deutschland werben gutgemachte, teure Anzeigenkampagnen und Werbespots, die erkennen lassen, welche Konzerne dies alles – mit unseren Stromgeldern finanzieren. Es gibt aber auch immer mehr nur scheinbar individuelle Pro-Atom-Leserbriefe, Meinungsumfragen und Wikipedia-Einträge, Jubel-Beiträge in Online-Foren und Blogs. Denn nicht immer steckt die Meinung von Einzelpersonen hinter solchen Äußerungen. In die sozialen Bewegungen, Verbände und Bürgerinitiativen eingeschleuste Spitzel, industriegelenkte Schein-Bürgerinitiativen, die Manipulation von Wikipedia-Einträgen, organisierte Leserbriefkampagnen und No-badge-Kampagnen, sprich verdeckte PR, bei der die Auftraggeber nicht erkennbar sind, gehören heute zum gut organisierten und teuer bezahlten Manipulationsgeschäft. Dazu kommt das aufwendige Umsorgen der als Volksvertreter(innen) getarnten Atomlobbyist(inn)en in der Politik. Beispielsweise ließ der frühere EnBW-Chef Claassen zu Weihnachten an sieben Politiker Tickets für die bevorstehende Fußball-WM schicken.

Die Manipulation von Sprache als Mittel der Machtausübung
ist vermutlich so alt wie die Sprache selbst. Der englische Autor George Orwell demonstriert in seinem Roman „1984“ die Wirkung solcher Sprachmanipulationen. Eine Offenbarung in Sachen orwellsches Neusprech sind die offiziellen Broschüren zum Notfallschutz. Aus dem Katastrophenschutz etwa wurde der Notfallschutz, aus dem Atomunfall das Ereignis. Radioaktivität tritt bei diesem Ereignis nicht etwa unkontrolliert aus, sondern wird freigesetzt. Auch auf vielen Wikipedia-Seiten heißt der AKW-Schornstein zur Abgabe von krebserzeugender Radioaktivität immer noch Abluftkamin.

Auch der französische Atomkonzern Électricité de France (EDF) setzt auf neue Durchsetzungsstrategien.
So waren elsässische und badische Umweltorganisationen erstaunt, als im Jahr 2003 das älteste und umstrittenste französische Atomkraftwerk Fessenheim in Paris die Umweltzertifizierung nach ISO 14001 erhielt. Ein sogenannten Umweltpreis für den Schutz von Fauna, Flora und Orchideen auf dem AKW-Gelände, für den Gebrauch von Recyclingpapier und für Mülltrennung. Einem Atomkraftwerk ein Umweltzertifikat zu verleihen, ist vor allem Greenwash, das heißt der Versuch, durch die Überbetonung von Selbstverständlichkeiten von den Gefahren abzulenken. Auf dem festungsartig eingezäunten Kraftwerksgelände, dort wo irgendwann zwei neue Europäische Druckwasserreaktoren (engl. Eueuropäischen ropean Pressurized Water Reactor, kurz EPR) von EDF und EnBW gebaut werden sollen, ist ein wunderbares, gut bewachtes Orchideen-Biotop entstanden. Von der Mülltrennung und dem Orchideenschutz soll ein positiver Imagetransfer auf das ganze AKW ausgehen. So dient das Umweltzertifikat ISO 14001 der Desinformation und Akzeptanzschaffung. Auch andere umweltbelastende Firmen und deutsche Atomanlagen wurden nach ISO 14001 zertifiziert. Das AKW Isar der Firma E.ON erhielt sogar eine Zertifizierung für ihr Umweltmanagement und ihre Umweltbetriebsprüfung EMAS. Umweltzertifikate werden durch einen solch gezielten Missbrauch diskreditiert und in Frage gestellt.

Grüne Deckmäntelchen
Mit der Gründung des Umweltvereins „Au fil du Rhin“ (deutsch: „Entlang des Rheins“) in Fessenheim versuchen die Atomkonzerne EDF und EnBW nun den Begriff Nachhaltigkeit für sich zu besetzen und die Umweltbewegung zu spalten. Die Kampagne für den neuen Europäischen Druckwasserreaktor EPR läuft genauso wie „Au fil du Rhin“ unter diesem Deckmäntelchen. Nachhaltige Kernenergie ist das Motto der neuen Atomkampagne. Mit Lockvogelangeboten und viel Geld sollen regionale Umweltorganisationen in den neuen Schein-Umweltverband gelockt und so zum Schweigen gebracht werden. Doch die großen Umweltverbände am Oberrhein, BUND und Alsace Nature, lehnen die Mitgliedschaft in einer solchen industriegelenkten Umweltorganisation ab. Greenwash, Neusprech, industriegesteuerte Bürgerinitiativen und geschickte Propaganda sollen Menschen an Atomkraftwerke, Gentechnik oder Kriege für Öl gewöhnen. Selbst industriegelenkte Angriffe auf Umweltorganisationen nehmen zu, wenn es um ökonomische Interessen geht. Dazu zählen Nestlé-Spitzel bei Attac, Spionage bei französischen Anti-Atomorganisationen und die aktuellen Ökologismus-Kampagnen verschiedener Netzwerke.

Die Umweltbewegung sollte sich verstärkt und kritisch mit Greenwash
und den neuen Durchsetzungsstrategien auseinandersetzen, ohne diese Methoden zu imitieren. Sie muss weiterhin die wichtigen Probleme thematisieren, um eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben – auch wenn die Werbestrategen im Konzernauftrag die Diskussionsfelder gern vorgeben würden. Bei den großen Konflikten um Umwelt und Zukunftsfähigkeit geht es schließlich immer auch um Demokratie.




Nachtrag:
Einen der bestgemachten Pro-AtomPropagandafilme seit Walt Disneys „Unser Freund, das Atom” zeigte Arte kurz vor der energiepolitischen Richtungswahl 2009. "Atomkraft auf Öko-Trip?", ist ein Fernsehfilm von Barbara Necek und Anna Kwak. Er arbeitet mit allen Tricks, mit Halbwahrheiten, Verdrehungen und entspricht allen Propagandavorgaben der Werbeagentur Burson-Marsteller. Produziert und gemacht wie ein Werbefilm von EDF und AREVA, aber gezeigt im öffentlich rechtlichen Fernsehen.





In der politischen ökologie117 erfahren Sie, mit welchen Mitteln wirtschaftliche Eliten ihre Interessen in die Gunst der Politik rücken und was für mehr Transparenz zu tun ist.

Industrieberater verwässern in Brüssel Umweltgesetze. AKW-Betreiber finanzieren Umweltgruppen, die Atomkraft reinwaschen. Marktradikale Denkfabriken schleusen Expert(inn)en ins Fernsehen ein, die neoliberale Reformideen propagieren, um den Weg zu ebnen für Privatisierung und Sozialabbau. Greenwashing, eine unkritische Berichterstattung, Nebenanstellungen von Abgeordneten oder schlicht Bestechung machen es der Öffentlichkeit nicht leicht zu durchschauen, wer welche Interessen verfolgt.

Die Autorinnen und Autoren der politischen ökologie117 nehmen die Lobbygruppen und ihre Methoden unter die Lupe, decken Umweltskandale auf und heben grüne Deckmäntelchen hoch. Sie bieten Strategien gegen den Filz und Ansätze für mehr Demokratie sowie eine kritischere Öffentlichkeit.

  • Warum sorgt die Politik nicht für mehr Transparenz?
  • Welche negativen Folgen für Mensch und Umwelt zeitigt der Lobbyismus?
  • Ist die derzeitige Krise ein Nährboden für Korruption?


politische ökologie117: Vom Strippenziehen. Die Folgen von Lobbying & Korruption für Umwelt und Gesellschaft. Mit Beiträgen von T. Leif, U. Müller, G. Klug, D. Plehwe, A. v. Bernstorff, B. Bannenberg u.v.m., 72 S., 14,90 Euro/26,90 sFr., ISBN 978-3-86581-185-1
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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


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