1975/2025: Frauen und das AKW Wyhl - Frauen im Atom-Protest & in der Umweltbewegung
Veröffentlicht am 14.11.2024
1975-2025: Frauen und das AKW Wyhl - Frauen im Atom-Protest & in der Umweltbewegung
Die 1970er Jahre waren Zeiten des politischen, sozialen und ökologischen Umbruchs. Der städtische Protest der 68er war nie auf dem Land und in den Dörfern angekommen. Doch auch hier begannen sich alte Erstarrungen zu lösen.
Um die 70er politisch einzuordnen: Es war auch die Zeit des Kalten Krieges, der Terrorfahndung und in Stuttgart regierte Hans Filbinger als Ministerpräsident. Es ist heute, mit 5 Jahrzehnten Abstand, unvorstellbar. Von 1966 bis 1978 war Herr Filbinger der CDU Ministerpräsident Baden-Württembergs. Er war für vier Todesurteile mitverantwortlich, die er, damals NSDAP-Mitglied, als Marinerichter 1943 und 1945 beantragt oder gefällt hatte.
In den frühen ökologischen Kämpfen am Oberrhein, den Bauplatzbesetzungen in Marckolsheim(F), Wyhl(D), Kaiseraugst(CH) und Gerstheim(F) liegen wichtige Wurzeln der Veränderung. Hier wurden aus konservativen Naturschutzverbänden politische Umweltorganisationen und der religionsähnliche Wachstumsglaube der 1960er Jahre bekam erste Risse. Hier begannen die frühen, erfolgreichen Kämpfe für Umwelt, Nachhaltigkeit und saubere Luft, aus denen sich die Bewegung gegen das Waldsterben 1.0 und auch die heutige Klimaschutzbewegung entwickelten.
Am Anfang einer politischeren Umweltbewegung stand eine Frau,Rachel Carson
Im Spätherbst 1962, wurde in den USA ihr Buch „The silent spring / Der stumme Frühling“ veröffentlicht. Obwohl es weltweit noch keine starke Umweltbewegung gab und die damalige Naturschutzbewegung eher defensiv und konservativ war, wurde es 1962 das meistgelesene Buch in den USA. Die von Industrielobbyisten massiv bekämpfte Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson zeigte, welche Folgen der Einsatz des Insektenvernichtungsmittels DDT auf die Umwelt hat. Es war ein Weckruf für eine global erwachende Bewegung.
Die Bilder der strickenden Frauen in Wyhl und Marckolsheim gingen durch die Medien
"Strickende Frauen" klingt aus heutiger Sicht ein wenig altmodisch. Doch es waren Bäuerinnen vom mehrheitlich konservativen Kaiserstuhl und aus den elsässischen Dörfern, die mutige, freche Bauplatzbesetzerinnen waren, die sich vor Bagger stellten und die Bauarbeiten verhinderten.
Frauen wie Solange Fernex, Annemarie Sacherer, Irmgard Schneider, Sonja Badura und Lore Haag spielten auch als Rednerinnen und Organisatorinnen im aktiven Widerstand in Wyhl und Marckolsheim eine wichtige Rolle, eine Rolle, die nicht unbedingt dem Geschlechterverständnis der 70er Jahre am konservativen Kaiserstuhl und im Elsass entsprach. Gerade Solange Fernex und Annemarie Sacherer waren begeisternde Rednerinnen. Im Sommer 1974 wurde von Frauen für Frauen die „Freiburger Initiativgruppe KKW NEIN“ gegründet.
In einer Rede beschrieb Walter Mossmann erfrischend realistisch die Wyhler BesetzerInnen
"Was neu war: Auf den besetzten Plätzen in Marckolsheim, Wyhl oder Kaiseraugst trafen sich nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus der linken Szene, auf die sich Polizei und Justiz längst eingeschossen hatten, vielmehr kamen dort Leute zusammen, die eigentlich gar nicht zusammen gehörten, deshalb ging es ja auch in Wyhl viel lustiger zu als bei den Parteimeetings der Moskau- oder der Peking-Kommunisten. Im Freundschaftshaus auf dem besetzten Platz in Wyhl trafen Winzergenossen und katholische Landfrauen auf eine Jugendgruppe der IG Metall aus NRW oder auf die Stuttgarter Gewerkschaftsopposition bei Daimler ("Plakatgruppe") mit Willi Hoss und Peter Grohmann, es trafen sich evangelische Pfadfinderinnen aus Heidelberg mit bündischen Jungs aus Hamburg und Grauen Panthern aus Westberlin, es kamen denkende Sozialdemokraten, die sich gerade mit Erhard Eppler gegen den Atompolitiker Helmut Schmidt aufrichteten, es kamen die Religiösen von den Anthroposophen bis zu den Zen-Buddhisten, dazwischen Linkskatholiken, Pfingstler, Basisgemeinden, orthodoxe Russen, reformierte Juden, laizistische Iraner, synchretistische und tolerante Brasilianerinnen, es kamen deutsche Männergesangsvereine, französische Feministinnen, geoutete Schwule, heimliche Heteros, Spontis, Maoisten, Trotzkisten, Anarchisten, Ornithologen, Vegetarier, Verteidiger des SED-Regimes, die absurderweise auf volkseigene Atomkraftwerke vom Typ Tschernobyl setzten, es kamen Leute vom Schwarzwaldverein, von den Vosges Trotter Colmar, von der Skizunft Brend, es kamen Pazifisten, Reserveoffiziere und die Schnapsnasen aus Webers Weinstuben, es kamen alte Leute, die ihre Ideen vom Naturschutz aus der nationalsozialistischen Erziehung mitbrachten, es kamen kritische Architekten, Mediziner, Pädagogen, Journalisten, frustrierte Orchestermusiker, grübelnde Polizisten, und sie trafen auf den Apotheker vom Kaiserstuhl, den Schmied, den Schreiner, die Ärztin, die Chemikerin, den Müller, den Fischereimeister, den Tabakbauer, die Winzerinnen, die Lehrer, die Pfarrer, und sie trafen Werner Mildebrath, den Elektriker aus Sasbach, der schon 1975/76 den Leuten seine Sonnenkollektoren aufs Dach setzte, denn die Bürgerinitiativen arbeiteten schon damals an erneuerbaren Energien, und sie organisierten 1976 die Sonnentage von Sasbach, als die Stuttgarter Regierung noch einfältig und doktrinär an das Perpetuum Mobile namens Atomkraft glaubten."
Selbstverständlich gab es im Wyhl-Konflikt auch Frau-Mann und Mann-Frau Konflikte und viel zu wenige weibliche Delegierte in der Delegiertenversammlung. Doch wenn konservative Winzerinnen auf französische Freaks treffen (um nur ein Beispiel zu wählen), dann sind unterschiedliche Meinungen und Konflikte unausweichlich. Die Besetzenden waren sehr unterschiedlich, da bleiben Konflikte nicht aus. Das Erstaunliche war: Das Gemeinsame war stets stärker als das Trennende.
Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein (Der Autor war einer der Bauplatzbesetzenden in Marckolsheim und Wyhl)
(Dieser Text entsteht gerade und ist noch ein unfertiges Textfragment)