2027-1977: AKW Gerstheim Frankreich / Bauplatzbsetzung verhindert vor 50 Jahren ein französisches AKW bei Strasbourg
Veröffentlicht am 13.05.2024 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer
1977: AKW Gerstheim Frankreich / Bauplatzbsetzung verhindert vor 50 Jahren ein französisches Atomkraftwerk bei Strasbourg
Das Foto zeigt die "Freudentänze" nach der Ankündigung der EDF, das AKW doch nicht zu bauen und den Messmast zu entfernen.
Wenn heute an verhinderte Atomanlagen am Oberrhein erinnert wird, dann gilt dies zumeist dem Fessenheim-Protest oder den durch Bauplatzbesetzungen verhindertenAKW in Wyhl und Kaiseraugst (CH). Die erfolgreichen Proteste gegen das französische AKW in Gerstheim (F) bei Straßburg, gegen eine Brennelemente-Fabrik in Heitersheim und gegen das geplante Hochrhein-AKW in Schwörstadt werden meist vergessen.
Es gibt einen gezielt geschaffenen Mythos. Er besagt, "die Deutschen" hätten den Atomprotest nach Frankreich getragen. Die geschichtliche Realität ist eine andere. Die französische Protestkultur begann 1971 im Larzac. Der dortige Widerstand gegen die Erweiterung eines Militärgeländes inspirierte den frühen französischen Protest gegen das AKW Fessenheim. Durch massiven Protest in Plogoff in der Bretagne und durch eine Bauplatzbesetzung in Gerstheim bei Straßburg wurde der Bau von Atomkraftwerken verhindert. InHeiteren im Elsass wurde ein Hochspannungsmast besetzt.
Der französische Staat reagierte mit brutaler Härte auf den Protest gegen die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft. Bei einer Demonstration gegen den schnellen Brüter in Malville im Jahr 1977 mit 60.000 Teilnehmenden, wurde Vital Michalon durch eine Polizei-Granate getötet. Hunderte andere Demonstrierende wurden zum Teil schwer verletzt. Bei der Versenkung des Greenpeace-Schiff Rainbow Warrior am 10. Juli 1985 durch den französischen Geheimdienst wurde der Greenpeace-Fotograf Fernando Pereira ermordet. Am 7. November 2004 wurde Sébastien Briat beim Protest von einem Atommülltransport überrollt und getötet.
Heute hat der französische Staat massive Probleme mit seinen unfallanfälligen, überalterten Atomkraftwerken. Und Strom aus Wind und Sonne ist um ein Vielfaches kostengünstiger als Strom aus neuen französischen AKW. Ein weiteres französisches Problem: "Neun Atomkraft-liebende Milliardäre besitzen 90 Prozent der französischen Medien".
Axel Mayer
Atomkraftwerk Gerstheim — eine Bilderbuchplatzbesetzung
Text und Bilder von Gerhard Peringer
»Mir kejje mol d'Granze
üewer e Hüffe —
Un tanze drum erum.«
- Francois Brumbt
Dieses Zitat aus dem Dreyecklandlied von Francois Brumbt drückt aus, was ich empfinde, wenn ich an Gerstheim denke.
Die Platzbesetzung in Gerstheim kann man, zumindest von der Erfüllung der Forderungen her gesehen, als die erfolgreichste in der bisherigen Anti-AKW-Geschichte — von Marckolsheim abgesehen; und Wyhl ist ja auch noch nicht ausgestanden ... — betrachten. Umso verwunderlicher ist es, daß, von den ganzen spektakulären Aktionen bislang, Gerstheim am wenigsten zum »Begriff« wurde. Wenn ich zum Beispiel in Hamburg, wo ich jetzt wohne, von unseren Aktionen im Dreyeckland berichte, schütteln selbst eingefleischte AKW-Gegner den Kopf: Marckolsheim, Wyhl, Kaiseraugst ja! Gerstheim? Nie gehört.«
Woran mag das liegen, daß Gerstheim im Bewußtsein der »Bewegung« kaum verankert ist? Sicher, die Platzbesetzung war nicht so spektakulär wie Wyhl oder Brokdorf. Es gab keine größeren Prügeleien, keine Räumung, keine große Presse, und doch war Gerstheim in vieler Hinsicht bemerkenswert.
Die Fakten sind schnell erzählt: Die Situation war vom Ausgangspunkt her ähnlich wie heute. Während alle Welt gespannt den WyhlProzeß in Herbolzheim verfolgte, ließ die EDF (Electricite de France — französische Elektrizitätsmonopolgesellschaft) im Dezember 76 einen siebzig Meter hohen Meßturm auf einem 180 Hektar großen Gelände, das als möglicher Standort für einen Nuklearpark mit Anreicherungsanlage vorgesehen war, errichten. Zum Bau des geplanten Zaunes um das Gelände kommt es nicht mehr. Die Bevölkerung der umliegenden Gemeinden organisiert sich blitzschnell, und 150 Umweltschützer besetzen am 26. Januar 1977 den Platz um den »Pylone« ; die Techniker der EDF ziehen nach einer längeren Diskussion frustriert ab. Vier Tage später demonstrieren schon 5 000 AKW-Gegner auf dem besetzten Bauplatz, auch viele rechtsrheinische Alemannen darunter.
Gleich zu Anfang tragen sich über fünfzig Gemeinden zur Platzwache ein, und diese massive Unterstützung hält bis zum Ende der Besetzung an. Der spätere »Schwur von Gerstheim« wird von Vertretern von mehr als sechzig Gemeinden und Vereinigungen unterstützt. Eine Umfrage in diesen umliegenden Gemeinden ergibt, daß 86 Prozent der Bevölkerung gegen ein Kernkraftwerk sind. Die EDF hat bald gemerkt, daß der »Platz des 26. Januar« eine Festung war, die, wenn versucht worden wäre sie einzunehmen, einen Sturm ausgelöst hätte, der so manchen Energieboß umblasen hätte können...
Plakat AKW (F) Oberrhein: Gerstheim / Plakat der "vergessenen", erfolgreichen AKW - Bauplatzbesetzung in Gerstheim / Frankreich
Gerschte 77
Im Frindschaftshüs vun Gerschte brennt e Fiirel in de Nacht
Mir sitze drum erum un einer spielt uf de Gitarr
In Gerschte werft e Fiirel sini Funke in de Wind
Höersch? ... er singt
De Räje wie e Trummel klopft sin Liedel uf'm Dach
Mir wärme-n-uns am Fiirel, vor de Tier steht einer Wach De
Räje wie e Harf Hirt sin Liedel in de Wind
Höersch? ... er singt
Im Jüli han mir gsunge un gedanzt am Sunnefescht Dass's
Bliemel nitt verwelikt un dass's Fiirel nitt verlescht Im Juli
han mir gsunge unsri Hoffnung in de Wind
Höersch? ... er singt
Vun hit ab awwer langt's, nein mir bliese nimmi stumm
Mir brenne hundert Fiirle un mir sitze drum erum
Dass hunderti vun Baim Widder blieje frej im Wind
Kumm! ... un sing
- Rene Egles
Das war dann auch der eigentliche Erfolg von Gerstheim:
Der ungebrochene Widerstandswillen quer durch alle Schichten der Bewohner eines schönen Landstriches, der den Profitinteressen einer menschenverachten den Energiepolitik geopfert werden soll. Als wär's die selbstverständlichste Sache der Welt, wurde die Platzbesetzung Bestandteil des täglichen Lebens der Anwohner und wird volle sieben Monate durchgezogen, ohne viel Aufhebens darum zu machen. Das ist vielleicht auch der Hauptgrund für die relative Unbekanntheit der Gerstheimer Platzbesetzung.
Überhaupt war dies in erster Linie eine Aktion der älteren Bewohner der Region. Im Verhältnis zur Anzahl der älteren Leute auf dem Platz waren die jungen Besetzer unterrepräsentiert. Die vielgeschmähten Polittouristen jener Zeit fehlten hier gänzlich, und ein Besetzer bemerkte einmal treffend: »Das Publikum ist hier viel besser durchwachsen.« Der Generationskonflikt blieb aus; ich (lange Haare, Bart und so weiter) habe davon jedenfalls nichts gespürt — im Gegenteil!
Zur weiteren Entwicklung wäre noch zu sagen, daß natürlich ein Freundschaftshaus gebaut wurde, das bei den obligatorischen Sonntagsveranstaltungen immer gefüllt war. Informationsveranstaltungen wechselten sich mit kulturellen ab : Ausstellungen mit Theaterinszenierungen (es spielte unter anderem das Münchner Theaterkollektiv »Rote Rübe« sein Antirepressionsstück »Paranoia«), Vorträge mit Musikveranstaltungen — neben Gruppen wie »Follig de la rue des dentelles«; die fast schon zu Dauerbesetzern wurden, spielten viele Liedermacher (Francois Brumbt, Francis Keck, Roger Siffer, Roland Engel, Buki und einige andere) meist mehrmals auf dem Platz.
Zahlreiche Petitionen und Aufforderungen an die EDF und die Präfektur zur Stellungnahme und zum Abbau. des Meßturms wurden begleitet von Demonstrationen und Aktionen, beispielsweise beim Besuch des damaligen französischen Premierministers Barre in Straßburg, und führten letztendlich auch zum Erfolg. Nachdem der Sprecher der EDF noch am 15. Februar trotzig erklärt hatte: »Der Meßturm wird nicht abgebaut. Nicht in einem halben Jahr, nicht in zwei Jahren!«, ließ die Präfektur im August 1977 bekanntgeben, daß die »Wetterbeobachtungsanlage« von Gerstheim entfernt werde.
Schwur von Gerstheim
Am 24. August 1977 konnte die Generalversammlung des Organisationskomitees der Gerstheimer Platzbesetzung (CODSEG) einen Sieg verkünden, der durch den sogenannten »Schwur von Gerstheim« besiegelt wurde, in dem, neben der Einschätzung der gesamten Aktion und nochmaliger Darstellung der Forderungen, die Wachsamkeit gegenüber der EDF zum obersten Gebot erklärt wurde; wo man das alles doch viel kürzer und schöner hätte sagen können: »Mir sin eifach wieder do ... !«
Gerstheim Frankreich: Bauplatzbesetzung verhindert AKW
Mein Dank geht an meinen Freund & "Gerstheimer Alt-Platzbesetzer" Gerhard Peringer von dem Text & Bilder stammen...
Das AKW in Gerstheim war politisch nicht durchsetzbar
Diese frühen, verzweifelt-hoffnungsfrohen, grenzüberschreitenden, ökologischen Konflikte im Dreyeckland (Gerstheim, Marckolsheim, Wyhl, Kaiseraugst, Schwörstadt, Breisach...) brachen erstmals mit der vorherrschenden Nachkriegslogik der Gier, des Wachstumszwangs und der Zerstörung. Sie waren erste Zeichen der Hoffnung mit Fernwirkung und haben die globalen Zerstörungsprozesse entschleunigt.
Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein
Das Plakat befindet sich in meiner umfangreichen Plakatsammlung.
Umweltgeschichte, Regionalgeschichte, Geschichte: Baden - Elsass - Nordschweiz - Oberrhein - Dreyeckland auf Mitwelt.org
Aktuell: Kein AKW in Wyhl - Kein Bleiwerk in Marckolsheim.
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- 3) Im Zweifel, gerade in Kriegszeiten, ist die -Allgemeine Erklärung der Menschenrechte- immer noch eine gute Quelle zur Orientierung.
Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
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