Jean-Jacques Rettig gestorben: Freund, Europäer, Atomkraftgegner, Humanist & Umwelt-Aktivist


Veröffentlicht am 28.02.2024 von Axel Mayer

Umweltschützer Jean-Jacques Rettig gestorben: Freund, Europäer, Atomkraftgegner, Humanist & Umwelt-Aktivist


  • Mon ami, l'Alsacien Jean-Jacques Rettig (Le texte français)
  • Unter diesem hochdeutschen Text finden Sie einen badisch-elsässischen Nachruf auf Jean Jacques Rettig
  • Ganz unten auf dieser Seite steht eine elsässische Umwelt-, Regional- und Familiene geschichte aus Sicht von Jean-Jacques Rettig


Am Montag, 19.2.2024 ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der elsässischen Umweltbewegung, Jean-Jacques Rettig aus Freconrupt, gestorben. Aus Wunsch der Familie fand die Trauerfeier am 1.3.2024 im kleinen Familienkreis in Strasbourg statt.


Mein Freund, der Elsässer Jean-Jacques Rettig, Jahrgang 1939, war gemeinsam mit Solange und Michel Fernex eine der großen Persönlichkeiten der elsässischen Umwelt- und Antiatomkraftbewegung. Der frühere Realschullehrer war schon 1974 bei der Bauplatzbesetzung gegen das Chemiewerk im elsässischen Marckolsheim dabei und auch beim Protest gegen das AKW in Wyhl stand er an vorderster Stelle. Am 17. Juli 1970, nachdem der erste Artikel in der "Derniere Nouvelle d'Alsace" über das AKW Fessenheim erschien, hat er mit drei Familien eine Bürgerinitiative gegründet. 1971 waren es schon 1500 Menschen, darunter 150 Deutsche. Vier Jahre später waren 15 000 dabei. Jean-Jacques ist seit über 50 Jahren aktiv und er ist "nicht nur" AKW-Gegner und Umweltschützer. Er war auch ein großer, engagierter Europäer und Humanist. Seit den frühen ökologischen Konflikten am Oberrhein hat er sich für das grenzenlose Europa der Menschen engagiert.

Ich erinnere mich an unsere wichtigste, gemeinsame, nirgends journalistisch verwertete Presseerklärung aus dem Jahr 2007. Gemeinsam hatten wir die sehr konkreten Pläne des damaligen französischen Präsidenten Sarkozy kritisiert, französische AKW an Präsident Gaddafi in Libyen zu exportieren. Eine Katastrophe für die Menschheit ist jedes neue Land, das mithilfe der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie zum Atomwaffenstaat wird. Es wäre schrecklich, wenn heute im Bürgerkriegsland Libyen französische AKW stünden und die Bürgerkriegsparteien Zugang zuAtomkraftwaffen und schmutzigen Bomben hätten.

Als Jean-Jacques Rettig 1974 die Bauplatzbesetzung gegen ein extrem umweltverschmutzendes Bleiwerk nach Marckolsheim mit organisierte, war in Frankreich und Deutschland noch die Zeit der „guten, alten, offenen“ und vor allem sichtbaren Umweltzerstörung und Umweltvergiftung. Flüsse waren stinkende Kloaken, Kinder in der Umgebung von Verbrennungsanlagen litten an Pseudokrupp, in der Umgebung von Bleichemiewerken starben die Kühe an Bleivergiftung. Der Schweizer Atommüll wurde damals noch im Meer versenkt. Es war die unkritisch-technikbesoffene Nachkriegszeit, in der, trotz des Konzernwissens um die Gefahren, noch hemmungslos Asbest verbaut wurde.

Heute, 50 Jahre nach diesen ersten Konflikten, sind Luft und Wasser sauberer geworden. In unseren Bächen kann wieder gebadet werden. Das Atomkraftwerk in Fessenheim wurde endlich abgeschaltet. Strom aus Wind und Sonne ist um ein Vielfaches kostengünstiger als Strom aus neuen Atomkraftwerken.
Diese Erfolge für Mensch, Natur und Umwelt sind nicht vom Himmel gefallen. Wir haben sie Menschen wie Jean-Jacques Rettig zu verdanken.

In diesen Tagen der Trauer demonstrieren junge und alte Menschen mit Fridays for Future für eine nachhaltige, bessere Welt. Sie tragen sein Werk und Engagement weiter.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Alt-)BUND Geschäftsführer, TRAS Vorstand
(kennt Jean Jacques seit der Bauplatzbesetzung 1974 in Marckolsheim)


Einen kluger Nachruf von Bärbel Nückles stand am 1.3.2024 in der Badischen Zeitung


Badisch-Elsässischer Nachruf auf Jean Jacques Rettig / Strasbourg, 1.3.2024


Salli Jean Jacques, liebe Inge, liebe Familie, liebi Lit

Ich hab de Jean Jacques sit 50 Johr kennt,
sit de Bauplatzbesetzung in Mackolsheim.
Mir alli hän ä Europäer, ä Humanischt un ä Umwelt-Aktivischd, vor allem aber ä Freund verlore

Ich will ä kleins Gedichtli vortrage
Ä Gedichtli innere schderbende Schproch
Innere Schproch, wu in hundert Johr niemes meh verschdoht im Elsiss
Ä Gedicht vum elsässische Dichter Nathan Katz

S Witerlabe noh n em Tod

Un wenn mr emol tot sìn,
Villicht àss mr no witerlabe tian
So ìn àllem wu scheen ìsch.

Villicht dàss mr do sìn
Ìm Läbe, wu ìm junge Chorn tribt;
Ìn denne Millione un Millione
Vu chleine Pflänzli
Wu stupfle n ìm wite Fall.

Villicht àss mr no witerlabe dian
Ìn àllem wu scheen ìsch,
Ìn àllem wu lebandig ìsch


Lieber Jean Jacques
Villicht àss mr no witerlabe dian
Ìn àllem wu scheen ìsch,
Ìn àllem wu lebandig ìsch.
het de Nathan Katz gschriebe

Hit, am Dag vun Dinere Beerdigung sin sie im Badische widder uf de Schdros

Die Junge, vun Fridays for Future,
uf de Schdros fir Mensch, Klima, Nadür un Umwelt

Un Dü bisch debi Jean Jacques, middedrin bi de Junge

Un Dü bisch debi Jean Jacques, middedrin
Ìn àllem wu scheen ìsch,
Ìn àllem wu lebandig ìsch.
Axel Mayer






Elsässische Umwelt- und Regionalgeschichte aus Sicht von Jean-Jacques Rettig


Der Regionalismus der 70er Jahre

Meine Damen, meine Herrn, liebe Freunde,
gewiß haben Ihre Eltern und Sie selbst gelitten. Oft hat man Ihnen Ihre Marksteine genommen, Ihre Grenzen. Man hat Ihnen andere aufgezwungen. Seit einigen Jahren bildet sich für Sie von neuem eine andere Welt mit anderen Werten. Wir alle laufen Gefahr, die Dinge unerwachsen zu erleben, zu denken, wir seien einzig, unser Unglück, unser Glück, das erlittene Unrecht, die neuen Slogans, die aufkommen (oder aufgezwungen werden), seien einzig. Aber das scheinbar Einzigartige findet sich auch anderswo, selbst wenn wir es nicht wissen. Und in der ganzen Welt trachten macht- und profitgierige Einzelne und Gruppen danach, die Bevölkerungen lebenslang in einem unerwachsenen Zustand zu halten, um sie besser manipulieren zu können.


Jean-Jacques Rettig am 16.11.1974 bei einer Demo auf dem besetzten Platz für ein umweltzerstörendes Bleichemiewerk in Marckolsheim



Ich komme aus dem Elsaß.
Zur Zeit bin ich demnach französischer Bürger. Meine Region ist sehr schön; sie ist materiell und kulturell (noch) reich. Aber ihre Geschichte hat sehr schlecht angefangen. In dieser Hinsicht könnte sie eine Schwester Galiziens sein. Karl der Große hatte drei Enkel, die sein Reich aufteilten. Ludwig der Deutsche bekam den Osten, Karl der Kahle den Westen und Lothar den langen Streifen dazwischen, der von Schleswig-Holstein bis Neapel ging. Karl und Ludwig unterzeichneten im Jahr 842 den SCHWUR VON STRASSBURG (Nichtangriffspakt und die Garantie gegenseitige Hilfe: das erinnert an den Hitler-Stalin-Pakt!) ... und dann "verspeisten" sie nach und nach das Reich ihres Bruders Lothar. Das Elsaß wurde Deutschland einverleibt. Später dann wünschte sich der ruhmsüchtige französische König Ludwig XIV. gradlinige und "natürliche" Grenzen. Also eroberte er das Elsaß und erklärte von der Zaberner Steige herab: "Was für ein schöner Garten!" 1870-71 wurde unsere Region militärisch von den Deutschen eingenommen, 1918 von den Franzosen, 1939 von den Deutschen, 1945 von den Franzosen... und 1970 von der Atomindustrie.

Was hat nun meine kleine Familie in den Strudeln dieser geopolitischen – militärischen – ideologischen – heuchlerischen – paranoiden – und so wenig wirklich menschlichen Intrigen gemacht?

Mein Großvater Emil war Steinmetz,
ein Protestant, und er hatte seine besten Freunde unter den Kapuziner-Mönchen des katholischen Klosters gegenüber. Häufig nahm er den einen oder anderen als Modell für seine Skulpuren, die er für die Kathedralen von Dresden, Meißen, Straßburg, Zürich, Bern herstellte... Seine Schwägerin hatte einen Badener (Deutschen) geheiratet, der nach 1870 eingewandert war. 1918 mußte sie dann mit ihm nach Deutschland auswandern. Der Großvater Emil starb im Westen Frankreichs, wohin er sich 1939 vor der deutschen WEHRMACHT geflüchtet hatte. Der andere Großvater, auch ein Emil, Klempner von Beruf, konnte aus allem und nichts Spielzeug für seine Kinder machen, und er erklärte ihnen die Welt, indem er Geschichten erfand und bei den Spaziergängen am Flußufer erzählte. Selbst protestantischer Herkunft, ging er doch ein und aus beim Rabbi, beim katholischen Priester und beim evangelischen Pastor. Damals war das nichts besonderes.

Mein Vater, geboren 1896
und ebenfalls mit dem Vornamen Emil geschmückt, wurde sehr früh ein Internationalist. Eingezogen wider Willen während des ersten Weltkriegs wurde er 1917 als deutscher Soldat verwundet von einer russischen Kugel, und es war dann der französische Staat, der ihm bis zu seinem Tod im Alter von 90 Jahren eine Invalidenrente zukommen ließ. Schönes Beispiel der Universalität! Sehr früh hat er verstanden, daß die Interessen gewisser Machthaber, z.B. der Magnaten aus der Rüstungsindustrie, transnational waren, also grenzüberschreitend. Aus seinem Grab schickt uns seine Kugel, dieses kleine Metallstück 2 cm neben seinem Herzen, in dem Körper, der sich in Staub verwandelt, eine tiefe und schelmische Mahnung zu. In unserer Familie war man durchaus französisch, aber man wollte Elsässisch sprechen dürfen und unsere eigene Kultur auf halbem Weg zwischen Deutschland und Frankreich bewahren. Während der totalitären Epoche unterschieden wir immer ganz klar zwischen dem Deutschen und dem Nazi.
Meine Mutter Friederike, geboren 1901,
ging nur bis zum 14. Lebensjahr in die Schule. Sie war ausgestattet mit einer unglaublichen Willenskraft. Angetrieben von einem humanitären Elan hatte sie bei den Nazis erreicht, daß sie täglich sechzig politische Gefangene vom Lager SCHIRMECK bekochen durfte. Die Gefangenen arbeiteten in den Jahren 1943-44 an den Eisenbahngeleisen. Bei dieser Gelegenheit stellte sie – selbstverständlich heimlich – Verbindung zwischen den Gefangenen und ihren Familien her, besorgte Medikamente und Zusatznahrung und organisierte mit Hilfe einiger Führer kleine und größere Fluchten.

Mein Bruder Pierre
(Schluß jetzt mit den Emils!) ging aufs Gymnasium in Straßburg. 1943, als er gerade 15 Jahre alt war, holte die GESTAPO alle Jungs aus der Klasse und brachte sie nach Deutschland, um sie dort in die Flugabwehr (FLAK) einzugliedern. Mein Bruder wurde Richtkanonier und er sorgte dafür (wie viele seiner elsässischen Kameraden auch), daß die Geschosse krepierten, bevor sie ein englisches oder amerikanisches oder kanadisches Flugzeug treffen konnten. Heute noch hat er vier Narben an der Wade und am Hintern, wo er sich während der letzten Kriegsmonate seinen eigenen Speichel eingespritzt hatte, um operiert zu werden und nicht länger an dem mörderischen Wahnsinn teilnehmen zu müssen.

Ich danke allen Mitgliedern meiner Familie, daß sie mich mit ihrem Beispiel gelehrt haben, NEIN zu sagen zum Inakzeptablen, zum Inhumanen, zur Ungerechtigkeit. Ich danke ihnen, daß sie sowohl die kritische als auch die tolerante Geisteshaltung kultiviert haben. Ich danke ihnen, daß sie uns gelehrt haben, selbständig zu denken und nur außerordentlich vorsichtig irgendwelche Schlußfolgerungen zu ziehen. Ich danke ihnen, daß sie uns einen Weg gezeigt haben, wie man die Grenzen zwischen den Menschen sprengen kann, nicht nur jene starren der Staaten, sondern auch die der Gedanken und der Herzen.

Oft täuschen sich die Staaten über ihre Bevölkerungen – oder sie wollen sich täuschen, weil es ihnen so in den Kram paßt. So wurde uns z.B. im Elsaß während der Hitlerzeit unter Androhung von Gefängnisstrafen verboten, französisch zu sprechen oder zu singen. Alle französischen Bücher wurden eingesammelt und eingestampft. Aber als dann 1945 das Elsaß wieder französisch wurde, übte die französische Zentralregierung ebenfalls einen gewissen Druck auf die Elsässer aus, um sie dazu zu bewegen, ihren Dialekt aufzugeben. An allen öffentlichen Orten und in den Bussen sah man Aufkleber mit dem Slogan FRANZÖSISCH REDEN IST CHIC; während in den Schulen das strikte Verbot herrschte, elsässisch zu reden, sogar in den Hofpausen. Das germanische Kulturerbe sollte verschwinden. Der jakobinische französische Staat hat bis 1990-91 gebraucht, um zu begreifen, daß eine wirkliche Zweisprachigkeit im Elsaß für das Land nicht nur eine kulturelle Trumpfkarte ist, sondern auch eine kommerzielle und ökonomische.
Ein anderes Beispiel für Verständnislosigkeit: Nach dem zweiten Weltkrieg klassifizierte der französische Staat meine Eltern und meine Familie ganz generell in die Kategorie der PATRIOTEN (wohlbemerkt im bedingungslos nationalistischen Sinne!) wegen ihrer Haltung und ihre Aktivitäten gegen die Nazis. Infolgedessen, als ich dann für 25 Monate (1960-62) in den Algerienkrieg eingezogen wurde, holte man mich in den Nachrichtendienst (Abteilung Telephon-Spionage und Pressezensur), weil man davon ausging, daß die Rettigs Frankreich um jeden Preis dienen würden.

Nun, die regierenden Großkopfeten hatten sich getäuscht. Meine Eltern und mein Bruder hatten gehandelt aus persönlicher humanistischer und antitotalitärer Überzeugung und keineswegs im Namen eines blökenden und stumpfsinnigen Nationalismus. Infolgedessen sah ich mich in Algerien verpflichtet, meine Arbeit durch Reflexion und freie Entscheidung zu sabotieren, ich ließ viele Informationen durchgehen, die ich eigentlich hätte zensieren müssen, und ich habe die Fellaghas (Soldaten der FLN) nicht denunziert, die ich durch meine telefonischen Lauschangriffe ausfindig gemacht hatte. Ich habe nur Informationen über direkte Vorbereitungen zu Attentaten weitergegeben. Entscheidungen, die nicht immer leicht fielen. Meine Motivation war dieselbe wie die meine Eltern und meines Bruders.

Das größte Handicap für einen unehrlichen Staat, der ein Abenteurer ist, opportunistisch, kriegslüstern, faschistisch, tendenziell totalitär oder antidemokratisch etc. – (das ist nur eine Listen von Beispielen, denn Frankreich war das alles nicht gleichzeitig), das ist die passive oder aktive Verweigerung der Zustimmung durch die eigene Bevölkerung.

Wir nähern uns nun dem Thema, das ich im Titel angegeben habe: Regionalismus und Ökologiebewegung.
Ich wollte nur zunächst einmal zeigen, daß die Freuden, die Schmerzen, die Handlungen, die menschlichen Reaktionen keine in Raum und Zeit isolierte Elemente sind. Das Elsaß und Galizien sind vielleicht enger verschwistert, als Sie vermuten. Die Haltung unserer Eltern und unserer Umwelt conditioniert uns, formt uns mehr als wir denken. Alles ist Glied einer Kette, einer Interaktion. Es ist gut, sich daran zu erinnern. Ich insistiere auf der Tatsache, daß sehr oft die Völker zu Irrtümern verführt worden sind (denken Sie nur an das jugoslawische oder bosnische Drama!), getäuscht, gegeneinander aufgehetzt, obwohl sie doch ein Interesse hatten und haben, sich zu begegnen, die Sprache des anderen zu lernen, miteinander zu reden, zusammenzuarbeiten, sich zu helfen, sich in ihren Besonderheiten zu respektieren.
Ich nenne nur zwei Beispiele für diese falschen Werte,
die soviel Blutvergießen und Unglück verursacht haben: DIE NATIONALE EHRE und DER ERBFEIND. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts haben die Intellektuellen, die Politiker, die Militärs und sogar die Industriellen diese Ideen gebraucht und mißbraucht. "Daß ein unreines Blut unsere Furchen tränken möge!" sang Frankreich in seiner Nationalhymne. Und "Deutschland über alles!" kündigte Deutschland an. Und das kleine Elsaß befand sich zwischen beiden, wie zwischen zwei geschiedenen Eltern, die sich gegenseitig ihre Kinder entreißen wollen.

Warum in drei Teufels Namen seid ihr nicht imstande, den Blick über euer Schüssel Rand zu heben?! Könnt ihr euch nicht lösen von euren bornierten und mörderischen Ideen?! De Gaulle wollte ein "Europa vom Atlantik bis zum Ural". Mit Adenauer zusammen arbeitete er an der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Und dann gab es den gemeinsamen Feind, die Sowjetunion, gegen den man sich zusammenschließen mußte. Aber die Basis, die beiden Bevölkerungen, trafen sie sich? Lernten sie den Umgang miteinander? Unternahmen sie gemeinsame Dinge, spontan, außerhalb der Überwachung und des offiziellen Rahmens? Nahmen sie ihr Schicksal als Nachbarn in die eigene Hand? Die Antwort ist leider negativ.

Es gab den "Mai 68", der über Westeuropa brandete, mit seinen Ungeschicktheiten, gewiß, aber auch mit seinen lebendigen Fragen, seinem Begriff der Partizipation, seiner Kritik an der bloßen verhärteten Autorität, am Paternalismus, an der Ausbeutung der Arbeiter, am Lebensideal, das uns die kapitalistische Industriegesellschaft mit ihrem ungezügelten Liberalismus vorschlug. Die Jungen und viele etwas weniger Junge begannen von einer humanistischen Revolution zu träumen. Nach langem Zögern begab sich De Gaulle nach Baden-Baden, um sich der Unterstützung durch General Massu zu vergewissern, der den Oberbefehl über die in Deutschland stationierten Truppen hatte. Die Kommunistische Partei Frankreichs und ihre Gewerkschaft, die CGT, bekamen Angst, sie könnten links überholt werden, und machten gemeinsame Sache mit der Regierung. "Mai 68" hatte gelebt... und man ging wieder an die Arbeit.

Gleichwohl ging die politische Dimension des Denkens nicht verloren. Und seit 1970 erweiterte es sich um die ökologische Dimension. Es wurde immer klarer, daß "unsere Furchen" nicht mit "unreinem Blut" getränkt werden mußten, denn sie waren schon gesättigt mit chemischem Dünger, mit Pestiziden, Herbiziden, Schwermetallen, radioaktivem fallout. Und "Deutschland über alles" mußte zum Rückzug blasen, denn die Probleme hatten längst ein planetarisches Ausmaß angenommen! Man mußte die Meere retten, die Wälder, die Wasserläufe, die Luft, die tropischen Regenwälder, das genetische Kapital (und das alles geht weiter bis zum heutigen Tag). Und man mußte kämpfen gegen die Gefahr der Überbevölkerung.


Papierfabrik Kaysersberg in Neuf Brisach am Rhein
So war zum Beispiel diese hochvergiftete und ekelerregende Kloake namens Rhein
sowohl schweizerisch als auch französisch, deutsch und holländisch. Es genügte nicht mehr, daß sich die nationalen Offiziellen gegenseitig den Ball der Verantwortlichkeit zuschoben; jetzt mußten alle Anrainer die Ärmel hochkrempeln und praktische Maßnahmen ergreifen. Die Kommunen, die Industrie, die Fischer, die Bauern, alle Interessierten und Benutzer mußten miteinander reden und Lösungen suchen. Das war noch niemals leicht gewesen, denn die kurzfristigen Interessen gehen oftmals auseinander. Es bedurfte erst einer Katastrophe, genannt TSCHERNO-BASEL, als eine Chemiefabrik in Basel (Schweiz) den ganzen Fluß verseuchte, damit die Leute quasi unter einem notwendigen Elektroschock zu drastischen Maßnahmen bereit wurden.

Das Elsaß hatte schon immer eine starke Beziehung zur Natur. Aber der Elsässer ist in seinem Wesen "nett" und "korrekt". Er mußte lernen, sich zur politischen Kritik aufzuschwingen (nicht immer negativ), den Ton anzuheben, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen (er hat schon so oft seine "Meister" gewechselt!). Die nationalen und die brüsseler Technokraten planten in ihrer Maßlosigkeit, das gesamte Rheintal von Rotterdam bis Basel zu industrialisieren und die Wohngebiete ins Gebirge (Vogesen, Schwarzwald) abzuschieben. Die von der Industrie benötigte Energie sollte in riesigen "Parks" mit Atomkraftwerken gewonnen werden. Nach allem, was wir wußten über die Gefahren der chemischen Umweltzerstörung und der radioaktiven Verseuchung, war uns klar: Jetzt mußte man etwas wagen, handeln, die Bevölkerung informieren und sich diesen dämonischen und größenwahnsinnigen Projekten widersetzen.

So wie der Rhein alle diese Projekte miteinander verband, so gab er nun aber auch den Badenern, Elsässern und Schweizern Gelegenheit für ganz neue Begegnungen. Man gründete Komitees und Bürgerinitiativen. Man informierte; man besetzte Tag und Nacht die Bauplätze; man führte Prozesse gegen die Firmen und gegen den Staat; man lebte eine ganz reale grenzüberschreitende Zusammenarbeit...; und alle entdeckten, aufgeweckt durch die ökologischen Realitäten, die gemeinsamen Interessen der Bevölkerung in der Region, oft kulturelle, manchmal sprachliche und immer menschliche. Die ökologische Bewegung will nicht den Staat zerstören und die Kultur auflösen, das Land verwandeln in ein formloses Magma ohne Geschmack, ohne Tradition, ohne sozialen Zusammenhang. Ganz im Gegenteil! Aber sie hat immer für eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Probleme und der Lösungen plädiert. Damit das hohle Gerede aufhört und stattdessen die Flüsse gerettet werden, das Grundwasser, die Wälder, die Luft und die menschliche Gesundheit, müssen die Staaten ein Gutteil ihrer Starre beenden und sich ernsthaft um die Konsequenzen ihrer Handlungen für Land und Leute und Nachbarländer kümmern. Frankreich, das Land, in dem ich wohne, hat in dieser Hinsicht noch sehr viele Fortschritte zu machen.


Im Lauf unserer Kämpfe haben die,
die es noch nicht wußten, entdeckt, daß die wirklichen Grenzen nicht jene sind, welche die Machthaber zwischen den Bevölkerungen unserer Länder gezogen haben, sondern jene, die existierten und immer noch existieren, oft unsichtbar, im Inneren jedes Landes, zwischen der Bevölkerung und den Lobbies, den Interessengruppen. Ich erinnere mich immer an jenen badischen (also deutschen) Winzer, der, nach monatelanger gemeinsamer Aktion und Platzbesetzung – also auch nach monatelangem Austausch und Umgang mit Elsässerinnen und Elsässern – ausrief: "Ich habe entdeckt, daß wir Brüder sind, daß wir geschaffen sind, zusammen zu leben, daß uns die Politiker und die großen Führer der Vergangenheit belogen haben. Wenn ich daran denke, daß wir einmal aufeinander geschossen haben über den Rhein! Was für eine Verrücktheit! Wenn die großen Herren in Bonn und Paris eines sowas eines Tages wieder machen würden, werden wir NEIN sagen, wir marschieren nicht mehr, denn wir haben etwas anderes gelebt". Mögen sich diese guten Einsichten doch über die ganze Welt verbreiten (er ist ja so klein, unser Planet!). Möge die Erinnerung nicht verblassen. Ich werde nun in 6 Fällen den Kampf beschreiben, der in der Region des Oberrhein stattgefunden hat. Ich spreche also von einer Periode ungefähr zwischen 1970 und 1980 mit gelegentlichen Ausläufern in die 80er Jahre.

1. Im Juli 1970 wurde bekannt, daß bei Fessenheim im Elsaß ein Atomkraftwerk mit 2 Reaktorblöcken gebaut werden sollte. Es ist das einzige Projekt dieser Art, das am Oberrhein realisiert werden konnte. Die ebenfalls vorgesehenen Reaktorblöcke 3 und 4 konnten verhindert werden. Der Kampf gegen Block 1 und 2 geht weiter und wird erst mit Schließung beendet, nach dem Einstieg in den Ausstieg aus der französischen Nuklearpolitik.

2. Im Frühling 1971 gab die Landesregierung von Baden.Württemberg bekannt, daß auf dem rechten Rheinufer in Breisach 4 Reaktorblöcke gebaut werden sollten. Im Mai entstand dann völlig unerwartet in der Bevölkerung ein ständig wachsender Widerstand gegen dieses Projekt.

3. Im Sommer 1974 wollte die deutscheFirma CHEMISCHE WERKE MÜNCHEN bei MARCKOLSHEIM, auf der elsässischen Seite und 15 km von Breisach entfernt ein Bleichemiewerk bauen. Zuvor war das Projekt schon von 3 anderen französischen und deutschen Gemeinden abgelehnt worden. Eine fünfmonatige Platzbesetzung durch die Bevölkerung beendete das Projekt.

4. Ende 1973 feierte das in Breisach gescheiterte Nuklearprojekt in Wyhl (Baden) zwischen Breisach und Straßburg seine Auferstehung. Demonstrationen, Round-Table-Debatten, massive Konfrontation mit der Polizei, länger als 1 Jahr Platzbesetzung, Prozesse – und ein ständig wachsender Druck aus der Bevölkerung erreichten, daß die Firma BADENWERK und die Regierung von BADEN-WÜRTTEMBERG nachgeben mußten. Kein Atomkraftwerk in Wyhl!

5. Seit 1966 versucht die Firma MOTOR COLUMBUS AG ein Atomkraftwerk in KAISERAUGST zu bauen, 19 km von Basel entfernt auf der schweizer Rheinseite. Viele Versammlungen und Gegenversammlungen, Voten und Diskussionen, wie es die schweizer Verfassung erlaubt. 1970 erfahren auch Elsässer und Badener von dem schweizer Atom-Projekt. Baubeginn am 24.März 1975, am 1.April werden die Bauerbeiten blockiert und der Platz wird von der Bevölkerung besetzt, und zwar bis zum 19.Mai 1975. Heute ist das Atomkraftwerk immer noch nicht gebaut.


6. Damals existierte eine Liste mit Orten am Oberrhein, die für weitere Atomkraftwerke in Betracht kamen. Im Dezember 1976 errichtete die ELECTRICITÉ DE FRANCE auf einem Platz bei GERSTHEIM (Elsaß) zwischen Wyhl und Straßburg einen meteorologischen Mast, das deutliche Zeichen, daß hier gebaut werden sollte. In der Tat fanden sich beim Bürgermeister Pläne für 4 Reaktorblöcke für jeweils 1300 Megawatt. Sieben Monate Platzbesetzung. Der Mast wird abgebaut, das Projekt ist in der Bevölkerung bekannt geworden und wird abgewiesen.


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Diese sechs Felder der Kämpfe und des ökologischen Engagements
waren wie gesagt eine Schule des Lebens, des Bürgersinns, der individuellen und kollektiven Verantwortlichkeit, der Bewußtwerdung von Grundwerten, der Entwicklung und Weiterbildung eines jeden. Die Kaste der Entscheider und Bestimmer, die sich grundsätzlich eine Verfügungsgewalt anmaßen über Leben und Schicksal der Menschen, sah sich konfrontiert mit einer Bevölkerung, die hellwach war, erfinderisch, funkelnd, couragiert, zutiefst gewaltfrei und zivilisiert. Die Technokraten und Utopisten der Überentwicklung mußten sich auf den gesunden Menschenverstand anständiger Leute einstellen.

Diese Aktionen waren und werden es auch künftig weiterhin sein: grenzüberschreitend, auch wenn es den Nationalisten und anderen, die Haß und Entzweiung säen, nicht gefällt. Die Liebe und die Achtung vor den natürlichen Elementen (Wasser, Luft, Erde, Raum-), notwendige Voraussetzungen für ein lebenswertes Leben, schließen Liebe und Achtung des Nachbarn ein, Teilhabe an seiner Kultur, lernbereites Interesse an seiner Sprache. Wir haben mit einem großen Gelächter geantwortet, als Herr Sicurani, der Präfekt der Region Elsaß, den Deutschen vom rechten Rheinufer verbieten wollte, die Grenze zu überschreiten, um uns Elsässern im Kampf gegen das deutsche Projekt (!) eines Bleichemiewerks zu helfen. Unverzüglich war die Rheinbrücke von Deutschen und Franzosen gemeinsam besetzt, und der Verkehr kam vollkommen zum Stillstand. Der Präfekt mußte einen Rückzug antreten, gefangen in der Falle seiner eigenen Ungerechtigkeit. Das Geld und die Umweltzerstörung kennen keine Grenzen. Warum also sollten sich die Bevölkerungen trennen lassen?

In jener Epoche war das Thema Ökologie vollkommen neu,
und unsere Rebellion gegen die kriminellen Projekte, welche die öffentliche Gesundheit bedrohten, kam vollkommen unerwartet. Erst die Berichte über die Sache selbst und unsere Aktionen haben dafür gesorgt, daß ökologisches Denken im Bewußtsein der Leute Einlaß fand. Jahrelang kamen alle Ideen und Initiativen von unten. Keine einzige politische Partei hatte sich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigt, geschweige denn engagiert. Die Kommunisten z.B., sowohl die nach Moskau als auch die nach Peking orientierten, wollten schon ganz gerne teilhaben an der Popularität der Revolte, hier, im Westen, aber gleichzeitig mußten sie die Atomindustrie loben in ihrer jeweiligen politischen Heimat, in Peking also oder in Moskau... Insgesamt kann man sagen, unsere Politiker vom Bürgermeister bis zum Abgeordneten waren kaum informiert in den ökologischen Fragen. Für lange Zeit hatten diese eh nichts gegolten, warum also jetzt sich in Schwierigkeiten bringen, d.h. im Gegensatz zu den offiziellen Thesen? Die Politiker, wenn sie nicht von der Basis in den Hintern getreten werden, bleiben in ihrer Mehrheit doch recht klassisch, also Karrieristen.


Von den drei Ländern, von denen wir sprechen, hat Frankreich noch am meisten mit einer Art Kabinettspolitik zu kämpfen. Das Volk "schwätzen" lassen, aber dann um jeden Preis realisieren das, was die großen Geister aus der ECOLE NATIONALE DE L’ADMINISTRATION, aus der POLYTECHNIQUE und aus dem SERVICE DES MINES in den Kulissen ausgekocht haben. Alle Entscheidungen, die z.B. die Atompolitik betreffen, werden per Regierungsdekret gefällt und nicht durch parlamentarische Entscheidungen. Denk nicht! Akzeptiere! Und sei still! Während der jahrelangen Kämpfe haben wir, die Bürgerinitiativen und die badische, schweizerisch und elsässische Bevölkerung, eine Menge Dinge lernen müssen.
Von höchster Bedeutung war für uns,
daß es uns gelungen ist, in denselben Aktionen verschiedene Menschen zu einigen, Junge und Alte, Städter und Dörfler, Intellektuelle und Bauern, Wissenschaftler und Künstler, denn unsere Gegner hatten das Interesse, die Bevölkerung zu spalten, um besser regieren und die Projekte durchziehen zu können. Das gegenseitige Vertrauen mußte langsam aufgebaut werden, und es brauchte Fingerspitzengefühl und sehr viel Geduld. Jeder hat gelernt, jeder mußte sich öffnen und seine eigenen Werte relativieren. Der sogenannte Kommunist erschien etwas weniger teuflisch (ein Problem der Deutschen); der Bauer und der Winzer wurde ein bißchen Student; der Student fand Geschmack am Acker, lernte die Mistgabel zu händeln und die Axt- und etwas einfacher zu reden.

Im Rahmen der Wyhler Geschichte wurde die"Volkshochschule Wyhler Wald" gegründet, die zunächst für Kultur sorgte auf dem besetzten Platz, dann, im Lauf der Jahre auch in den Dörfern der Umgebung. Viefalt der Themen und Unterschiedlichkeit der Vortragenden, nicht nur Deutsche und Franzosen, ebenso amerikanische Wissenschaftler, Indianer, buddhistische Mönche, persische Ärzte, Ökologen aus Brasilien. Eine pragmatische und fruchtbare Brüderlichkeit.

Im Gegensatz zu jenem Schwur von Straßburg von 842 – ich habe zu Beginn davon gesprochen – haben im Rahmen der Auseinandersetzung um Gerstheim 60 Gemeinden vor den deutschen und französischen Medien einen Pakt für gegenseitige Hilfe unterzeichnet, um das Nuklear-Projekt zu verhindern. Im Gegensatz zu Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen hatten wir keine heimlichen Hintergedanken; wir handelten im Interesse der Bewohner dieser Region und ihrer Nachkommen. Das wurde dann der Schwur des Volkes von Gerstheim. Wir haben außerdem begriffen, daß Erfolge andere Erfolge nach sich ziehen. Denn viele Leute kommen nur, wenn sie sehen, daß auch gewonnen wird.



Der Kampf um Fessenheim,
der immer noch andauert, hat uns gezeigt, daß man immer mindestens einen Teil der Einwohner in einer betroffenen Gemeinde auf seiner Seite haben muß. Es genügt nicht, mit Tausenden, die von auswärts angereist sind, zu demonstrieren. Aus diesem Grund trachtet ja auch die Industrie danach, die Leute in einer betroffenen Gemeinde zu kaufen. Des weiteren genügt es nicht, immer nur unter seinesgleichen zu bleiben, unter Ökologen. Man muß das Interesse wecken bei allen Gruppen der Bevölkerung, sonst wird man marginalisiert. Tausende in unserer Region konnten aus nächster Nähe studieren, wie die Technokraten und "Spezialisten" bereit sind, Lügen und Halbwahrheiten zu verbreiten, aus professioneller Disziplin, aus Gewinnsucht, oder einfach, weil sie zu einer speziellen Kaste gehören. Aber diese einfachen Leute aus dem Volk, lassen sich jetzt keine Märchen mehr erzählen; sie haben nicht mehr dieses Unterlegenheitsgefühl; sie können jetzt öffentlich reden und die "Gekauften" demaskieren.
Muß man es sagen? Es gab finanziell nichts zu gewinnen bei unseren Aktionen.
Im Gegenteil, sehr viele Leute haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus eigener Tasche in die Bewegung investiert. Wie die Geburt, der Tod, die Liebe, die Freude, der Sonnenaufgang, die angenehme Landschaft... unser Unternehmen war und bleibt gratis. Aber es ist natürlich ganz normal, daß immer mehr Menschen künftig ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie Sonnenkollektoren bauen, Windmotoren, Isolationen etc.... Denn wir wollen nicht nur Nein sagen. Unsere Aufgabe ist es, auch Alternativen aufzuzeigen. So würden zum Beispiel Gasturbinen sehr gut die Reaktoren von Tschernobyl ersetzen, selbst wenn FRAMATOME, SIEMENS, ELECTRICITE DE FRANCE um jeden Preis euch schon wieder Atomkraftwerke verkaufen wollen. Laßt Euch nicht hereinlegen: Nicht alles, was im Westen glänzt, ist Gold! Wenn man darauf wartet, daß man für die Rettung des Astes, auf dem man sitzt, auch noch bezahlt wird, dann kann das bös enden.

Ach, fast hätte ich es vergessen! Eines Tages veröffentlichte ein Geschichtsprofessor und Politiker im Elsaß einen Zeitungsartikel, in dem er sagte, wir, die Gegener der Atomindustrie, würden vom KGB bezahlt. Wir haben einen Prozeß wegen Beleidigung angestrengt und haben ihn gewonnen.

Ein Prinzip unserer Kämpfe war immer die Gewaltlosigkeit.
Warum? Zunächst einmal, weil unsere Gegner bedeutend mehr Mittel haben, um wirklich gewalttätig zu werden. Sie schicken dann andere, um die Drecksarbeit machen zu lassen. Zweitens weil wir denken, daß die Gewalt die Menschen nicht verändert. Wenn wir gewalttätig sind, liefern wir unseren Gegnern alle Rechtfertigungen für noch mehr Gewalt von seiner Seite. Aber umgekehrt, wenn wir den anderen Weg wählen, bieten wir ihm eine Gelegenheit, nachzudenken, sich zu ändern, oder aber, wenn er halsstarrig bleibt, in aller Öffentlichkeit sein wahres Gesicht der Ungerechtigkeit zu zeigen und nach und nach die Sympathie der Leute zu verlieren. Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Hans Filbinger, hat während der Wyhler Geschichte diese Erfahrung gemacht. Seine Lügen und seine Polizeigewalt haben ihm politisch das Genick gebrochen. Er wollte sich nicht ändern.

Die gewaltfreie Methode hat gleichwohl nichts zu tun mit Naivität und Schlaffheit; im Gegenteil, sie braucht die genaue Analyse, Kreativität, Beweglichkeit, Psychologie, Mut und den Geist der Solidarität. Es ist keineswegs verboten, die Kraft des Gegners auszubeuten, um sie möglicherweise zu neutralisieren. Immer ist es ratsam, den Dialog zu suchen. Man muß dem Gegener einen Ausweg lassen. Unser Ziel ist nicht der Haß, sondern Wahrheit und Gerechtigkeit. Auch der gerechte Zorn hat seinen Platz in diesem Prozeß, denn der kühle Verstand allein genügt vielen nicht als Antrieb, wenn sie den Graben überspringen wollen vom Gedanken zur Tat. Aber dieser Zorn muß sich beherrschen können und darf nicht das Ziel aus den Augen verlieren. Man könnte auch sagen, je größer die Zahl der aktiven Teilnehmer ist, desto schwerer wird es dem Gegner, über eine derartige Bewegung einfach hinwegzugehen. Schließlich, die Praxis hat gezeigt, daß es immer von Vorteil ist, auf zwei oder mehreren Pfaden voranzugehen (Information, Dialog, direkte Aktion, Besetzung, Prozeß, Beteiligung an Wahlen etc.), und nicht nur auf einem, denn der Gegner trachtet immer danach, uns direkt anzugehen oder zu umgehen.

Hier halte ich inne. Obwohl das Erlebte in Wirklichkeit zwingender war und reicher als das, wovon ich Ihnen mit meinen Darlegungen eine Ahnung zu geben versucht habe.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Jean-Jacques Rettig

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Fußnote zu dem Rede-Manuskript von Jean Jacques Rettig «Le régionalisme des années 70»:



Von Walter Mossmann

"Über den Zeitraum von fünf Jahren (1997–2001) fand im Rahmen der Städtepartnerschaft Freiburg/Lemberg und gefördert u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung Berlin das großangelegte Projekt GESPRÄCH ÜBER GRENZEN statt: zwei europäische Grenzregionen begegnen sich, die deutsch-französische am Oberrhein und die polnisch-ukrainische an den Flüssen San und Bug. Leitung: Walter Mossmann und Taras Wozniak. Den Abschluss des Projekts markierte eine internationale Konferenz am 22.–25. Mai 2001 in Lemberg/Lwiw (Ukraine) und Przemysl (Polen) mit der Fragestellung: «Was folgt auf die Osterweiterung der EU ? – Der Fall Ukraine/Polen»

Zur zweiten Konferenz GESPRÄCH ÜBER GRENZEN in Lemberg/Lwiw (5. - 8. Juni 1998) hatte ich Jean Jacques Rettig als Referenten eingeladen, damit er den ukrainischen Teilnehmern die Geburt der westeuropäischen Ökologiebewegung in unserer oberrheinischen Grenzregion darstellen sollte. Außerdem sollte er am Beispiel seiner Familiengeschichte den ukrainischen Studenten zeigen, dass ihre eigene wechselhafte galizische Regionalgeschichte zwischen den Mächten Polen, Österreich, Sowjetunion und dem Deutschen Reich eine westliche Entsprechung in den elsässischen Tragödien des 19. und des 20. Jahrhunderts findet. Die Rede von Jean Jacques hat in Lemberg starken Eindruck hinterlassen, noch Jahre später wurde ich dort darauf angesprochen.

Das französische Redemanuskript von Jean Jacques Rettig wurde wie alle anderen Texte des Projekts (u.a. von Adam Zagajewski, Mykola Rjabtschuk, Stanisław Jerzy Lec, Emilia Ohar, Halyna Petrosaniak, Georg Trakl, Johann Peter Hebel, August Graf von Platen, Heinrich Heine, Ivan Goll, Hans Arp, André Weckmann, Walter Mossmann, Wolfgang Heidenreich) in die jeweils anderen Konferenzsprachen übersetzt (polnisch/ukrainisch/französisch/deutsch) und im März 2001 in einem 500 Seiten starken Sammelband veröffentlicht. "
Quelle: http://www.lalsace.fr/actualite/2013/02/08/la-lutte-antinucleaire-une-histoire-franco-allemande




Mon ami, l'Alsacien Jean-Jacques Rettig,


né en 1937, est un "vétéran" toujours actif du mouvement écologiste et antinucléaire alsacien. L'ancien professeur du secondaire était déjà là en 1974 lors de l'occupation du chantier contre l'usine chimique de Marckolsheim, en Alsace, et il était également à l'avant-garde de la protestation contre la centrale nucléaire de Wyhl. Le 17 juillet 1970, après la parution du premier article de la "Dernière Nouvelle d'Alsace" sur la centrale nucléaire de Fessenheim, il fonde une initiative citoyenne avec trois familles. En 1971, il y avait déjà 1 500 personnes, dont 150 Allemands. Quatre ans plus tard, ils étaient 15 000. Jean-Jacques est actif depuis plus de 50 ans et il n'est « pas seulement » un opposant aux centrales nucléaires. C’est aussi un grand Européen engagé.

Lorsque Jean-Jacques Rettig se rend à Marckolsheim en 1974 pour occuper le chantier d'une usine de plomb extrêmement polluante, c'est encore l'époque de la « bonne vieille destruction et empoisonnement environnemental ouvert » et surtout visible en France et en Allemagne. Les rivières étaient des égouts puants, les enfants autour des usines d'incinération souffraient du pseudocroup et les vaches autour des usines chimiques au plomb mouraient d'empoisonnement au plomb. A cette époque, les déchets nucléaires suisses étaient déversés dans la mer. C’était la période d’après-guerre, peu critique et obsédée par la technologie, au cours de laquelle, malgré la connaissance des dangers par les entreprises, l’amiante était toujours utilisée sans inhibition.

Aujourd’hui, 50 ans après ces premiers conflits, l’air et l’eau sont devenus plus purs. Vous pouvez à nouveau nager dans nos ruisseaux. L’électricité éolienne et solaire est plusieurs fois moins chère que l’électricité produite par les nouvelles centrales nucléaires.
Ces succès pour l’homme, la nature et l’environnement ne sont pas tombés du ciel. Nous devons pour cela à des personnes comme Jean-Jacques Rettig.

Axel Mayer
(connaît Jean Jacques depuis l'occupation du chantier à Marckolsheim en 1974)



Jean-Jacques Rettig, fondateur du CSFR (Comité de sauvegarde de Fessenheim et de la plaine du Rhin), milite depuis 43 ans contre le nucléaire aux côtés des comités de citoyens badois. Archives Dom Poirier
Née en 1970 en Alsace, la résistance aux centrales nucléaires est sans doute le plus transfrontalier des mouvements sociaux. Explications de Jean-Jacques Rettig, pilier de la lutte antinucléaire.

Seul le Rhin pourrait dire combien de voix ont clamé sur ses rives « Non au nucléaire, ni ici, ni ailleurs ». Des milliers, peut-être des millions. Parmi elles, celle de Jean-Jacques Rettig, qui a été de toutes les manifestations ou presque, depuis 43 ans.
Tout commence le 17 juillet 1970, quand il apprend par la presse le projet de construction de quatre réacteurs à Fessenheim. Depuis trois ans, il refuse, avec son épouse Inge, enseignante comme lui dans la vallée de la Bruche, les radioscopies des poumons obligatoires : « On prenait 5 rems à chaque radio, autant qu’il est permis à un travailleur du nucléaire pour un an. Cela n’inquiétait guère les médecins : nous leur apportions les publications allemandes et autrichiennes que nous avions traduites pour l’Association pour la protection des rayonnements ionisants, fondée par Jean Pignero. »
Pour les Rettig et trois familles amies, averties des risques de la radioactivité, même à faibles doses, il importe de faire connaître les risques des centrales nucléaires pour la santé, la génétique, l’environnement, sur le problème des déchets… C’est ainsi que naît le CSFR, Comité de sauvegarde de Fessenheim et de la plaine du Rhin, la plus ancienne association antinucléaire de France, peut-être d’Europe. Sa première marche contre la construction de Fessenheim, au printemps 1971, rassemble 1 500 personnes dont 150 Allemands. « Aussitôt, du côté badois, se constituent des Bürgerinitiativen, des comités d’initiatives citoyennes. Des contacts s’établissent de part et d’autre du Rhin. Avec aussi des Suisses opposés au projet de la centrale de Kaiseraugst. »
Deux ans plus tard, le plan Messmer de « mise en œuvre du tout nucléaire » annonce quelque 70 centrales en 20 ans, dont une bonne demi-douzaine en Alsace. Du côté allemand, il est prévu d’en construire une à Breisach : les vignerons du Kaiserstuhl s’y opposent en 1972. Le projet est abandonné, remplacé par celui de Wyhl, près de Marckolsheim.
Quand les engins de chantier arrivent, en février 1975, les antinucléaires, Badois et Alsaciens réunis, s’y opposent, occupant le site pendant huit mois. Négociations, expertises, procès : en avril 1977, le tribunal de Fribourg déclare irrecevable le projet de Wyhl. La même année, à quelques kilomètres au sud, deux réacteurs sont mis en service à Fessenheim. « Cette occupation de Wyhl a été un moment très fort : Allemands et Français ont redécouvert que nous étions frères, voisins, de culture identique, souligne Jean-Jacques Rettig. Des vignerons du Kaiserstuhl rappelaient que nos pères se tiraient dessus et affirmaient que si jamais cette folie devait ressurgir, ils refuseraient. »
De solides amitiés franco-allemandes se sont nouées à Wyhl, des couples se sont mariés. L’appel à l’amitié franco-allemande du général de Gaulle et d’Adenauer a pris une tournure inattendue : « Ce mouvement a mis en échec la construction de douze réacteurs le long du Rhin : Breisach, Wyhl, Gerstheim, Kaiseraugst, Fessenheim 3 et 4. Pour l’avenir de tous, Français, Allemands, Européens, ça vaut le coup. »
Pourquoi les Allemands, qui ont réussi à bloquer les projets sur leur rive, sont-ils presque toujours plus nombreux que les Français à manifester contre Fessenheim ? « La centrale est certes du côté français, mais ce n’est pas que la nôtre. En cas d’accident, les Allemands subiraient plus de conséquences que nous : les vents d’ouest sont dominants, rappelle Jean-Jacques Rettig. Et puis les Allemands se mettent plus facilement derrière un seul homme ou une idée, ils passent vite à l’action, sans discuter des heures. C’est un danger, mais aussi une force. »
Pour ce prof d’allemand retraité et militant non-violent qui assure le lien entre les associations antinucléaires de part et d’autre du Rhin, le fleuve n’est pas une frontière, pas plus qu’il ne l’a été pour le nuage de Tchernobyl. Éduqué à l’esprit critique par ses parents, qui avaient vécu les deux guerres mondiales, il plaide pour plus de démocratie : « En France, la classe politique est centraliste, refuse la participation des citoyens, applique la doctrine centrale et habitue les citoyens à zapper. Cela fait la force des lobbies. Jamais elle ne se demande si Tchernobyl ou Fukushima peut arriver en France. Elle est dans le déni total quand des millions de personnes souffrent de la contamination. Alors qu’en Allemagne, les Länder ont leur mot à dire sur l’implantation des centrales et la sécurité nucléaire. Après la guerre, les Allemands se sont remis en question et sont devenus plus démocrates. »
(Source : L'Alsace - Élisabeth Schulthess - le 08/02/2013)