Kein AKW in Breisach: Das 1971 geplante & 1973 verhinderte Atomkraftwerk am Kaiserstuhl (vor 50 Jahren!)
Veröffentlicht am 17.04.2024 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer
Kein AKW in Breisach: Das 1971 geplante & 1973 verhinderte Atomkraftwerk am Kaiserstuhl
Aktueller Einschub:
Der 19.7.1973 war ein besonderer Tag für die Menschen in Breisach und am westlichen Kaiserstuhl. Vor 50 Jahren hatte die Umweltbewegung am Oberrhein einen ersten, großen Erfolg. Die Verantwortlichen des Energiekonzerns Badenwerk (heute EnBW) und die Landesregierung erkannten, dass der Atomkraftwerksstandort Breisach politisch nicht durchsetzbar war. Zu stark war der Protest der mehrheitlich konservativen Bevölkerung am Kaiserstuhl. Kurzerhand wurde die Planung 13 Kilometer nach Norden verschoben. Am 19. Juli 1973 wurde erstmals der neue Standort eines Atomkraftwerkes in Wyhl bekannt. Der massive Protest in Breisach war erfolgreich und doch war er nur der Beginn des noch stärkeren Widerstandes in Wyhl.
Über 50 Jahre Atomprotest: Kein AKW in Breisach
„Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen? Konnte der 50 Jahre zurückliegende Antrag eines Energieversorgungsunternehmens einen Machtwechsel in Baden-Württemberg (mit)bewirken und einen wichtigen Impuls für eine neue, globale Umweltbewegung geben?“ Die Chaostheorie gibt Antwort auf diese Fragen.
Am 2. Juni 1971, stellte das damalige baden-württembergische Energieversorgungsunternehmen,
die Badenwerk AG, einen folgenschweren Antrag bei der zuständigen Genehmigungsbehörde des Landes. Im Norden von Breisach, in den Auen am Rhein, sollte ein Atomkraftwerk mit vier Reaktorblöcken und insgesamt 5200 Megawatt Leistung gebaut werden. Auch Kühltürme waren geplant. In Breisach begann damals der erfolgreiche badische Atom-Protest, der nicht nur Südbaden, sondern ganz Deutschland verändern sollte.
Wenn heute an verhinderte Atomanlagen am Oberrhein erinnert wird, dann gilt dies zumeist dem Fessenheim-Protest oder den durch Bauplatzbesetzungen verhindertenAKW in Wyhl und Kaiseraugst (CH). Die erfolgreichen Proteste gegen das französische AKW in Gerstheim (F) bei Straßburg, gegen eine Brennelemente-Fabrik in Heitersheim und gegen das geplante Hochrhein-AKW in Schwörstadt werden meist vergessen. Im benachbarten elsässischen Fessenheim gab es schon 1962 erste Überlegungen der Électricité de France für den Bau von Atomkraftwerken. Der erste konkrete Genehmigungsantrag für einen der größten AKW-Standorte der Welt wurde 1971 für Breisach am Kaiserstuhl gestellt.
Kleinplakat: Kein AKW am Kaiserstuhl / Atomprotest Wyhl & Breisach
Weder die Antragsteller noch die damalige Landesregierung
hatten in dieser ländlichen, konservativen, von satten CDU-Mehrheiten und vom Weinbau geprägten Region mit Protest oder gar ernstzunehmendem Widerstand gerechnet. Doch schnell gründeten sich Bürgerinitiativen am Kaiserstuhl und Unterstützergruppen in Freiburg. Flugblätter wurden verteilt, Infoveranstaltungen durchgeführt, 65.000 Unterschriften gesammelt und große Demos organisiert. Der frühe, immer auch grenzüberschreitende Protest am Oberrhein stand mit am Anfang einer erwachenden weltweiten Umweltbewegung.
Schon bei Bekanntwerden der Breisacher Pläne
gründeten sich Bürgerinitiativen am Kaiserstuhl, Unterstützergruppen in Freiburg und im weiteren Umland. Flugblätter wurden verteilt und Infoveranstaltungen durchgeführt. Gerade in der Landwirtschaft gab es berechtigte Sorgen vor den Auswirkungen des Kühlturmnebels auf den Weinbau. Doch auch die Probleme des Normalbetriebes eines AKW spielten in den damaligen Debatten eine Rolle. Als großes Problem wurde die Gefahr schwerer Unfälle gesehen. Während die Atomlobby damals in ihren Broschüren schrieb: „Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Atom-Unfalls beträgt 1 zu 1 Milliarde pro Jahr“ ging die kritische Wissenschaft von einem weit größeren Risiko aus. Die späteren Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima zeigten, wie schnell 1 Milliarde Jahre vorbei gehen können. Es gab damals auch die berechtigte Sorge, dass billiger Atomstrom umweltverschmutzende Industriebetriebe anziehen würde. Im elsässischen Marckolsheim war ein extrem umweltbelastendes deutsches Bleichemiewerk geplant. Bei einem ähnlichen Bleiwerk in Norddeutschland waren Kühe auf der Weide an Bleivergiftung gestorben. Der frühe, immer auch grenzüberschreitende Protest am Oberrhein stand am Anfang einer erwachenden weltweiten Umweltbewegung. Es war eine Zeit, in der in Deutschland Kinder durch Luftverschmutzung erkrankten und Asbest-Gefahren verharmlost wurden. Flüsse waren damals stinkende Kloaken. DDT vergiftete Mensch und Natur und es war Praxis, schweizer Atommüll im Meer zu versenken.
Es war die Zeit, in der aus „Nur-Naturschutzverbänden“ politische "Umwelt- und Naturschutzorganisationen“ wurden. Neue Verbände entstanden, wie die 1970 gegründete "Aktion Umweltschutz“, aus der später der BUND-Regionalverband Südlicher Oberrhein wurde.
Wegen der unerwartet heftigen Kaiserstühler Proteste verkleinerte die Badenwerk AG ihre Pläne am 8. Dezember 1971. Die ursprünglich vorgesehene Ausbauleistung von 4000 MW elektrischer Leistung wurde auf 2 Reaktor-Blöcke mit je 1300 MW begrenzt.
Doch die regionale, am Kaiserstuhl stark verankerte Bürgerinitiative
"Oberrheinisches Komitee gegen Umweltzerstörung durch Atomkraftwerke" argumentierte weiterhin gegen die atomaren und klimatischen Gefahren und erhielt nach einer großen Winzerversammlung im Januar 1972 in Oberrotweil noch mehr Zulauf. Auch die "Notgemeinschaft Kaiserstühler Winzer" agierte vorwiegend mit weinbauspezifischen Argumenten, unterstützt unter anderem vom Badischen Weinbauverband und der Landjugend.
Günter Sacherer,
der ergraute und heute noch aktive Kaiserstühler Winzer erinnert an einige, politisch sehr unterschiedliche Persönlichkeiten des damaligen Protestes: An Arno Landerer, Margot Harloff, Dr. Engelhardt, Dr. Bühler, Sepp Reinauer, Gernot Weisenhorn, Otto Bury, Gerhard Ritzmann, Ernst Schillinger, Dieter Berstecher, Annemarie Sacherer, Michael Kionka, Erhard Schulz und viele, viele andere.
Im September 1972 wurde die erste große Kaiserstühler Treckerdemo
mit 560 landwirtschaftlichen Fahrzeugen organisiert. Auf den Transparenten standen Sprüche wie: "Lieber heute aktiv als morgen radioaktiv" und "Kein Ruhrgebiet am Oberrhein". Schon im Oktober 1972 wurden 65.000 Einsprüche gegen das AKW im Landratsamt abgegeben. Für das Jahr 1972, für eine junge, unerfahrene Umweltbewegung ohne Internet waren dies enorm viele Einsprüche. Erstaunlich und damals mehr als ungewöhnlich war das Engagement der Kirchen. Der Freiburger Weihbischof Gnädinger brachte am 27. September 1972 seine Bedenken gegen das Breisacher Atomprojekt sehr deutlich zum Ausdruck.
Freiburger Studierende lieferten dem Protest am Kaiserstuhl wichtige Argumente und von Freiburger Initiativen wurde auch ein intensiver Schriftverkehr mit Behörden und Politik geführt.
Ein Rückblick auf den AKW-Protest in Breisach und Wyhl schaut zumeist auf die demonstrierenden Landwirte
Vergessen wird häufig die wichtige Rolle Freiburger Initiativen im Protest. Gerade von Freiburger Studierenden und AkademikerInnen wurden viele Argumente geliefert und ein intensiver Schriftverkehr mit Behörden und Politik geführt. (Teilweise im Archiv von Axel Mayer)
Wichtige Freiburger Gruppen:
- "Aktionsgemeinschaft gegen Umweltgefährdung durch Atomkraftwerke e.V."
- Die am 9. November 1970 gegründete "Aktion Umweltschutz, Vorläufer des "BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein" in Freiburg
Wichtige überregionale Gruppen:
- Rheintalaktion
- Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz
Dazu kamen auch linke und rechte Initiativen wie K-Gruppen und der "Weltbund zum Schutz des Lebens", die aber keinen großen Einfluß hatten.
Um das Atom-Projekt zu retten,
wurde 1973 der Standort weg vom Kaiserstuhl, in den kleinen, nahe gelegenen Ort Wyhl verlegt. Doch aus dem Breisacher „Flügelschlag“ war längst ein Sturm geworden. Ein Sturm, der -zuerst im elsässischen Marckolsheim mit der weltweit ersten ökologisch begründeten Bauplatzbesetzung- ein extrem luftverschmutzendes Bleiwerk verhinderte und dann im massiven, erfolgreichen, AKW-Wyhl-Protest weiter ging.
Das vor einem halben Jahrhundert geplante AKW Breisach war politisch nicht durchsetzbar.
Nicht die mächtigen Energiekonzerne und ihre Lobbyisten in der Politik haben sich durchgesetzt, sondern die Menschen. Der Protest stand mit am Anfang einer neuen, regionalen und gleichzeitig weltweit erwachenden Umweltbewegung. Das damalige Nein zur Atomkraft und zur Umweltverschmutzung war ein frühes Ja zu zukunftsfähigen Energien und zur Nachhaltigkeit. In Breisach und am Kaiserstuhl wurde vor 50 Jahren Geschichte geschrieben. Es war ein gesellschaftlicher Kipppunkt, eine Zeit des Umbruchs in der weltweit viele Schmetterlinge mit den Flügeln schlugen und eine Zeit des Wandels auslösten. Wichtige Veränderungen begannen, die heute, im Zeitalter des Anthropozän, einer Zeit des Überkonsums, der Artenausrottung und der Klimakatastrophe immer noch ganz am Anfang stehen.
Axel Mayer, Mitwelt am Oberrhein, (Alt-) BUND-Geschäftsführer und Bauplatzbesetzer in Marckolsheim und Wyhl
Hier einige weitere Erinnerungsschnipsel:
Das geplante AKW in Breisach / Titelbild einer alten Broschüre des Badenwerks
AKW Breisach & Ruhrgebiet am Oberrhein?
Der Staatsanzeiger Baden-Württemberg schrieb am 23.9.1972: „Rückt nämlich die EG noch näher zusammen, (……) so wird das Rheintal zwischen Frankfurt und Basel die Wirtschaftsachse überhaupt werden. Ob dann noch Platz für Umweltschutz ist, muss bezweifelt werden. Sachverständige Leute sind deshalb der Ansicht, die Ebene sollte für die gewerbliche und industrielle Nutzung freigegeben werden, während die Funktionen `Wohnen`, `Erholung` und so weiter in der Vorbergzone und in den Seitentälern des Rheins angesiedelt werden sollten.“
Dazu auch ein lesenswerter Beitrag im Spiegel vom 29.09.1975
Broschüre der HEW/NWK 1973: 66 Fragen 66 Antworten. Zum besseren Verständnis der Kernenergie
Frage 42: Sind Kernkraftwerke sicher?
Antwort: Ja. Kernkraftwerke sind sicher.
(...) Der Technische Überwachungsverein hat einmal ausgerechnet, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit für den sogenannten „Größten anzunehmenden Unfall“ (GAU), das heißt eines hypothetischen Unfallablaufes, für den jede Kernkraftanlage ausgelegt ist, 1:100 000 pro Jahr beträgt. Mit anderen Worten: Hätte der bekannte König Cheops aus der 4. altägyptischen Dynastie statt der von ihm errichteten Pyramide 20 große Kernkraftwerke gebaut und diese wären bis heute in Betrieb gewesen, dann müsste man damit rechnen, dass sich seither einmal ein solcher Unfall hätte ereignen können. Die Auswirkungen dieses Unfalls wären überdies so gewesen, dass jedermann am Kraftwerkszaun tagaus tagein hätte zuschauen können, ohne dabei mehr als die zulässige Strahlendosis zu empfangen. Nimmt man an, dass sämtliche Sicherheitseinrichtungen des Kernkraftwerkes nicht funktioniert hätten, dann wäre dies mit einer Wahrscheinlichkeit von 1:1 Mrd. pro Jahr passiert. Das bedeutet, dass die Vormenschenaffen im Alt-Tertiär vor 50 Millionen Jahren besagte 20 Kernkraftwerke hätten bauen und seither betreiben müssen, dann hätte man einen solchen Unfall vielleicht einmal registrieren können."
In den alten Pro-Atombroschüren wurden die Möglichkeiten der Stromversorgung ohne Kohle und Atom gezielt mit scheinwissenschaftlichen Argumenten heruntergespielt. So stand in der Broschüre "Fragen und Antworten zur Kernenergie":
Frage: Welche Bedeutung kommt der Sonnenenergie in der Bundesrepublik zu?
Antwort: (...) Äußerst unwahrscheinlich ist dagegen, dass die Sonnenenergie bei uns für die Elektrizitätserzeugung genutzt eingesetzt wird. (...) Die direkte Nutzung der Sonnenenergie wird für unsere Energieversorgung keine bedeutende Rolle spielen.(...)
Selbst noch im Jahr 1993 behaupteten die vier großen deutschen Energieversorger und Atomkonzerne in einer Anzeige in der Zeit: „Regenerative Energien wie Sonne, Wasser oder Wind können auch langfristig nicht mehr als 4 % unseres Strombedarfs decken.“
Ökostrom deckte im Jahr 2020 fast die Hälfte des Stromverbrauchs ab. Den größten Beitrag dazu leisteten Windkraftanlagen – vor allem an Land. On- und Offshore-Anlagen kamen gemeinsam auf einen Anteil von 27,4 Prozent. Photovoltaik deckte 9,7 Prozent. Die übrigen 12,2 Prozent entfielen auf Biomasse, Wasserkraft und sonstige Erneuerbare.
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