"Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung." Der vollständige Texte zum AKW Wyhl


Veröffentlicht am 13.07.2024 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer

"Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung" Die wichtigsten Texte zum AKW Wyhl und zum Bleiwerk in Marckolsheim


"Weil wir nicht dulden, dass unser Recht derart missachtet wird.
Deshalb haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald dort mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegen­zusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen."


Im Zusammenhang mit dem verhinderten AKW in Wyhl und dem Bleiwerk in Marckolsheim sind eine Vielzahl von Texten, Plakaten, Flugblättern, Büchern, Infoschriften und Zeitschriften entstanden. In den Jahren 1974 und 1975 (dem Vor-Internet-Zeitalter) wurde noch viel gedrucktes Papier produziert und tatsächlich auch gelesen.

Zu den politisch wichtigsten programmatischen Texten des erfolgreichen grenzüberschreitenden Protestes zählten die drei deutsch-französischen "Erklärungen der Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung". In diesen, in großen Auflagen gedruckten Texten entwickelten die Bürgerinitiativen ihr Konzept der zivilen, gewaltfreien Verteidigung. Verfasst wurden sie unter anderem von Freia Hoffmann, Balthasar Ehret, Jean Jacques Rettig, Irmgard Schneider und Gabi Walterspiel. Einer der prominentesten Autoren war der kluge und scharfzüngige Autor und Liedermacher Walter Mossmann. Die Texte wurden auch in den mitunterzeichnenden BI's diskutiert.

Die Erklärungen waren immer programmatisch und richtungsweisend und sie waren geprägt vom "weil wir wissen, weil wir sehen, weil wir gelernt haben ...":
  • Die erste "Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung" bereitete die kommenden Bauplatzbesetzungen in Wyhl und Marckolsheim vor.
  • Die letzte "Erklärung der Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung" war geprägt vom militanten Protest in Brokdorf und Grohnde, durch den der Bau der dortigen Atomanlagen nicht verhindert werden konnte. Er zeigte den Weg, weg von der "Schlacht am Bauzaun", zu einem dezentral-gewaltfreien, massiven Protest.


Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, in der Wyhl-Zeit Sprecher der BI Riegel (Ich habe damals diese Erklärungen an ziemlich viele Kaiserstühler Hoftore getackert)






"Erklärung der 21 Bürgerinitiativen an die badisch-elsässische Bevölkerung" (Der vollständige deutsche Text)


Weil wir wissen;
  • daß das geplante Atomkraftwerk bei Wyhl; sein Atom-Müll und seine künftige Ruine unser Land und unser Leben gefährden;
  • daß der Betrieb des Atomkraftwerks und der nachfolgenden Industrie das Klima so verändert, daß den Landwirten; vor allem den Winzern die Existenz zerstört wird und sie als billige Arbeitskräfte in die Fabrik gehen müssen;
  • daß die Atomingenieure keinen Schutz bieten können gegen Verseuchung der Luft; die wir atmen; des Wassers; das wir trinken, der Pflanzen und Tiere, die wir essen;
  • und weil wir nicht abwarten können, bis die Katastrophe da ist.


Weil wir sehen;
  • daß diese fahrlässigen Pläne nicht uns, sondern der Atomindustrie nützen, die unsere Existenz für ihre Profite aufs Spiel setzt;
  • daß wir belogen werden mit Parolen wie: "Entweder Fortschritt oder Umweltschutz" - Den Fortschritt schaffen wir mit unserer Arbeit. Wir lassen uns nicht einen "Fortschritt" der Selbstzerstörung aufzwingen;
  • daß die KKW-Spezialisten von der Atomindustrie bezahlt sind und deshalb Illusionen verbreiten über "saubere Arbeitsplätze auf Lebenszeit", obwohl sie es besser wissen müßten;
  • und weil wir nicht warten können, bis diese Illusionen explodieren.


Weil wir gelernt haben;
  • daß die Regierung in dieser Sache nicht neutral ist; daß Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Aufsichtsrat des Energieunternehmens sitzen; daß sie selbst Reklame machen für Atomstrom;
  • daß die Regierung neutrale Wissenschaftler abwertet; die Bürgerinitiativen; d. h. die Selbstorganisation der Bevölkerung; bekämpft und die Bevölkerung täuscht;
  • daß sie ihre Pläne notfalls mit Gewalt und gegen den Protest von fast 100000 Einsprechern durchsetzen will;
  • daß wir jetzt unsere Interessen nur noch selber, gemeinsam und entschlossen vertreten können;
  • und weil wir nicht dulden; daß unser Recht derart mißachtet wird.


Weil wir wissen;
  • daß die Produktion auf der Basis von Blei, wie sie von den Chemischen Werken München in Marckolsheim geplant wird, eine große Gefahr darstellt für Menschen, Tiere und Pflanzen;
  • daß die Behörden nicht imstande sind, unsere Umwelt vor dieser Verseuchung zu schützen;
  • daß die Baugenehmigung erteilt wurde, ohne vorher umfassende Gutachten einzuholen;
  • daß die von der Verwaltung angekündigten Maßnahmen die Gefahren nicht vermindern, sondern nur verbergen;
  • daß die deutsche Bevölkerung; die es ja auch angeht; gar nicht befragt wurde;


Weil wir sehen;
  • daß Ärzte und zuständige Wissenschaftler immer wieder einhellig auf die Gefahren hinweisen, die von der Bleiindustrie ausgehen;
  • daß nicht einmal die gegenwärtigen Umweltschutzgesetze eingehalten werden;
  • daß der ausgeschiedene Staub von Bleihütten Katastrophen hervorruft: Nordenham; Stolberg ...;
  • daß für diese Fälle meistens gar keine vorbeugenden Maßnahmen getroffen wurden, und wenn, dann nutzlose;


Weil wir gelernt haben;
  • daß die sogenannte, "Untersuchung des öffentlichen Nutzens" (enquete d'utilite publique) nur einen blassen Anschein von Demokratie hat;
  • daß die Behörden die Ansicht der Bevölkerung überhaupt nicht berücksichtigen;
  • daß wir alle jetzt verantwortlich handeln und die Zukunft unserer Kinder verteidigen müssen

Deshalb haben wir beschlossen, die vorgesehenen Bauplätze für das Atomkraftwerk Wyhl und das Bleiwerk in Marckolsheim gemeinsam zu besetzen, sobald dort mit dem Bau begonnen wird. Wir sind entschlossen, der Gewalt, die uns mit diesen Unternehmen angetan wird, solange passiven Widerstand entgegen­zusetzen, bis die Regierungen zur Vernunft kommen.