1986-2026: 40 Jahre Sandoz Unfall / Katastrophe in Basel - Schweizerhalle - Fortschritt und Rückschritt am Rhein


Veröffentlicht am 29.10.2024 in der Kategorie Umweltgeschichte von Axel Mayer

1986- 2026: 40 Jahre Sandoz Unfall / Katastrophe in Basel - Schweizerhalle - Fortschritt und Rückschritt am Rhein



Als am 1. November 1986, in Schweizerhalle bei Basel die Chemiefabrik von Sandoz brannte und das Ökosystem des Rheins vom Löschwasser "chemisch gereinigt" wurde, war der Oberrhein besonders stark betroffen. Kurz nach Mitternacht ging im Basler Industriegebiet Schweizerhalle der Feueralarm los. Die Lagerhalle 956 der Chemiefirma Sandoz, in der mehr als 1000 Tonnen extrem giftiger Unkrautvernichter und Insektizide (Neusprech: "Pflanzenschutzmittel") lagerten, brannte. Die Umweltkatastrophe wurde von den Schweizer Behörden tagelang kleingeredet. Tatsächlich kam es zu einem verheerenden Fischsterben im Rhein. Tonnenweise tote Fische trieben den Rhein hinunter, auf einer Länge von 400 km wurde die gesamte Aalpopulation ausgelöscht. 30 Tonnen hochgiftige Substanzen gelangten mit dem Löschwasser in den Fluss, auf 400 Kilometern starb im Strom alles Leben.

Am Oberrhein gab es vielfältige Protestaktionen, vom "Rheintribunal" in Auggen bis zu einer Menschenkette entlang des Flusses und viele grenzüberschreitende Demos. Der Unfall geschah in einer Phase hoher politischer Sensibilisierung und Mobilisierung. Vorausgegangen war die Katastrophe in Tschernobyl am 26. April 1986 und das massiv zunehmende Waldsterben.

Papierfabrik Kaysersberg bei Kunheim (F) ohne Kläranlage
Heute, viele Jahre nach dem Sandoz-Unfall gibt es Fortschritte und Rückschritte am Rhein. Der Fluss ist tatsächlich in manchen Bereichen sauberer geworden und die Wasserqualität hat sich verbessert. Der erfolgreiche Streit um die letzte Papierfabrik ohne Kläranlage, die "Usine Kaysersberg" schloss erst im Jahr 1996 das Kapitel der heftigsten chemischen Rheinverschmutzung ab.

Doch die Konzentration von schwer abbaubaren Verbindungen im Rhein ist immer noch zu hoch. Dazu gehören Tausende von Industriechemikalien, aber auch Medikamente, Korrosionsverhinderer in Maschinengeschirrspülmitteln oder Bestandteile in Sonnenschutzmitteln. Obwohl diese Substanzen nur in Konzentrationen von Millionstel Gramm pro Liter Rheinwasser vorkommen, entfalten sie als „Pseudohormone“ hormonähnliche oder andere schädliche Wirkungen in Gewässerorganismen. Dazu kommt verstärkt Mikroplastik.


DerLachs kehrt(e) in den Rhein zurück
Nachdem im Jahr 2005 erstmals wieder Lachslaich in der Kinzig gefunden wurde, gab es 2006 nach über 100 Jahren den ersten Lachslaich in der Murg. Wenn das Symboltier Lachs in seine alten Heimatgewässer zurückkehrt, wenn Menschen wieder in Bächen und Flüssen baden können, dann hat das auch mit den Lehren (und Geld) aus dem Sandoz-Unfall zu tun. Es ist aber auch ein Ergebnis der grenzüberschreitenden Arbeit der Umweltverbände und ihres politischen Drucks in den letzten Jahrzehnten. Und leider kehrt sich der kleine Erfolg gerade um.

Die Chemieanlagen am Rhein sind tatsächlich sicherer geworden. Ob sie tatsächlich "sicher" sind, ist eine andere Frage.
Das Problem der Chemie- und Atomindustrie ist zumeist nicht eine Wiederholung vergangener Unfälle. Das Problem sind neue, unbekannte Unfallszenarien, mit denen im Vorfeld weder die Betreiber noch die Kritiker gerechnet haben.
Der schwere Unfall bei der BASF in Ludwigshafen war da eine Warnung. Ähnliches gilt auch für die Katastrophe an der Jagst im Jahr 2015, bei der die grob fahrlässige Lagerung großer Mengen Stickstoffdünger in unmittelbarer Gewässernähe und eine nicht vorbereitete Feuerwehr zu einem riesigen Fischsterben führte.

Es gibt auch noch veraltete Chemieanlagen und Unfälle am Rhein. Ein Beispiel dafür ist die gravierende Grundwasserverschmutzung vom Jahreswechsel 2002–2003 bei der Rhodia in Chalampé gegenüber von Neuenburg. Unbemerkt (!) war damals die unglaubliche Menge von 1.200 Tonnen (!) Cyclohexan "ausgetreten" und teilweise ins Grundwasser versickert. Ein Funke hätte bei dieser Firma, in der auch große Mengen Blausäure verarbeitet werden, zur Katastrophe für Mensch und Rhein führen können. Das öffentliche Interesse an aktuellen Ereignissen und der Druck der Umweltbewegung sind heute aber wesentlich geringer als vor 30 Jahren. Dies zeigt sich auch am skandalösen Rhodia-Urteil im Jahr 2006. Nur 7.500 Euro Bußgeld für 1.200 Tonnen Cyclohexan im Grundwasser muss die Firma Rhodia in Chalampé jetzt zahlen. In der Öffentlichkeit hat dieses skandalöse Urteil fast keine Reaktionen ausgelöst. Wo der öffentliche Druck nachlässt, wird auch die Sicherheit kleiner.

Auch die Schweizer Atomkraftwerke am Rhein und seinen Zuflüssen sind seit der Sandoz-Katastrophe durch Alterung, Materialverschleiß und Versprödung der Reaktordruckgefäße nicht sicherer, sondern unsicherer geworden. In Beznau strahlt das älteste AKW der Welt.

Eine zukünftige Gefahr für den Rhein ist das geplante Atommülllager der Schweiz. Nahe am Rhein, in einer viel zu dünnen Schicht Opalinuston über einem Kohletrog, sollen die gefährlichsten Gifte für eine Million Jahre gelagert werden.

Die Öffentlichkeitsarbeit und die Katastrophenkommunikation der Konzerne hat sich durch die Unfälle und Katastrophen bei Sandoz, in Tschernobyl, Bhopal und Harrisburg verändert. Nicht mehr die Katastrophe und der große Unfall sind das Problem der Konzerne, sondern die auf den Unfall folgende, "Krisenkommunikation". Spezialisierte PR-Unternehmen stehen bei Katastrophen aller Art als mediale Kriseninterventionskräfte bereit und arbeiten äußerst wirksam.

Nach dem Sandoz-Unfall hat die Umweltbewegung die chemische Vergiftung unserer Gewässer und des Rheins erfolgreich bekämpft, die Gesetze wurden verschärft und die Gifteinleitungen in vielen Bereichen verringert.

Dabei wurde die thermische und radiologische Belastung der Flüsse ein wenig aus den Augen verloren. Das Schweizer AKW Beznau hat keine Kühltürme und setzen zu hundert Prozent auf die profitable, für den Rhein im Sommer aber verheerende Flusswasserkühlung. Wenn alle Kraftwerke am Rhein auf Kühltürme verzichtet hätten, dann wäre der Rhein biologisch tot. Zusätzlich zur Erwärmung des Rheins kommt noch die radioaktive Verschmutzung. Alle Atomkraftwerke belasten auch im sogenannten "Normalbetrieb" die Flüsse mit radioaktivem Tritium.

Sandoz und andere Katastrophen haben auch einen sehr makaberen "Erfolg" gebracht. Im Rahmen der Globalisierung sind einige besonders umweltbelastende und gefährliche Industrie- und Chemieanlagen in arme Länder mit geringeren Umweltauflagen exportiert worden.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein, (Alt-)BUND-Geschäftsführer (als Demonstrant bei den Sandoz-Protesten aktiv)



Plakat, Umwelt, Wasser: Umwelt Oberrhein, Menschenkette zur Sandoz Katastrophe am Rhein am 14.12.86

Nachtrag:


In den vielen heutigen Berichten zur Sandoz-Katastrophe steht häufig der Satz:
"Viele Jahre nach dem Großbrand im Schweizer Chemieunternehmen Sandoz bei Basel tummeln sich wieder Lachse im Rhein. 2015 seien rund 800 dieser sensiblen Wanderfische gezählt worden, teilte die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins am Donnerstag in Koblenz mit."

Tummeln & 800 Stück? Das klingt erst mal nach ziemlich vielen Fischen …
"Noch vor hundert Jahren war der Rhein der bedeutendste Lachsfluss Europas. Jahr um Jahr kehrten etwa eine Million Lachse von ihrer langen Reise nach Grönland zurück in die Rheinzuflüsse im Schwarzwald, im Elsass und in die Schweizer Alpen."



Hier geht's zu dem Video "Des Volkes Stimme | Chemisch gereinigt – Menschenkette gegen die Rheinvergiftung"





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Aktuell: Kein AKW in Wyhl - Kein Bleiwerk in Marckolsheim.


Ein Rückblick von Axel Mayer auf die frühen Anfänge der Umwelt- und Klimaschutzbewegung:
Hier geht's zum YouTube-Video.



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Axel Mayer Mitwelt Stiftung Oberrhein
Mit Zorn und Zärtlichkeit auf Seiten von Mensch, Natur, Umwelt & Gerechtigkeit.


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