2024 / 100 Jahre André Weckmann: Autor, Mundartdichter, Europäer, Franzose, Elsässer, Humanist und weltoffener Regionalist


Veröffentlicht am 07.11.2024 in der Kategorie Kultur von Axel Mayer

100 Jahre André Weckmann: Autor, Mundartdichter, Europäer, Franzose, Elsässer, Humanist und weltoffener Regionalist



Am 30. November 1924, vor fast genau hundert Jahren, wurde André Weckmann, der große Autor und Dialektdichter im Unterelsass geboren. Er war Sohn einer Wirtsfamilie in einer Dorfwirtschaft im Unterelsass bei Zabern (Saverne) und lebte bis zu seinem Tod am 29. Juli 2012 in Straßburg (Strasbourg).

André Weckmann:
sprechen, lesen, denken, schreiben in einer sterbenden Sprache ...



Seine Bücher, Texte und Gedichte in Elsässerditsch, Französisch und Hochdeutsch waren und sind - vergleichbar mit der Literatur und dem Wirken von Nathan Katz und René Schickele - ein wichtiges Bindeglied über den Rhein.

1943 wurde der Zwanzigjährige, genau wie viele andere Elsässer, für die deutsche Wehrmacht zwangsrekrutiert. Dann kamen Verwundung, Heimaturlaub, Desertion und Résistance. Zum Glück ist er keinem deutschen Kriegsgericht in die Hände gefallen. Seine Kindheit im Dorf, in dem immer elsässisch gesprochen wurde, seine grausamen Erfahrungen im Krieg und die Zerrissenheit und Geschichte seiner Heimat und der Menschen haben ihn und sein Schreiben geprägt. Die schwierige Identitätssuche seiner elsässischen Heimat war sein großes Thema. Nach Kriegsende studierte er Germanistik und war zuerst Kulturreferent in der Préfecture und später Deutschlehrer.

Andre Weckmann, der sensible und progressive Sprachkünstler, der von sich selbst sagte, er sei „kein Herdenmensch“, hat sich in einer Zeit des politischen Umbruchs auf die beginnende ökologische Bewegung am Oberrhein eingelassen. Vor 50 Jahren ist er aufgetreten auf den besetzten Bauplätzen, in den Freundschaftshäusern von Marckolsheim, Wyhl und Gerstheim. Wir verdanken ihm großartige kraftvolle Texte, Lieder und Gedichte in elsässischer Sprache, die man hüben und drüben versteht.
MARCKELSE
en Marckelse hets aangfange
Marckelse lejt am Rhin

en Marckelse han mer s guldene kalb gstoche
en Marckelse han mer d demokratie entdeckt
en Marckelse han mer d granze gsprangt
en Marckolse sen mer majorann worre

en Marckolse hets aangfange
Marckelse em Elsass


Er und die junge Umweltbewegung konnten 1975 nicht wissen, dass in der Verhinderung des extrem umweltzerstörenden Bleichemiewerks in Marckolsheim wichtige Wurzeln der heutigen Klimaschutzbewegung liegen.

André Weckmanns Gedichte haben viele regionale Liedermacher zu Vertonungen inspiriert. Auch sein wichtiges Gedicht „Alienation“, ist zur Zeit der Platzbesetzungen von Marckolsheim und Wyhl entstanden. Das Elsass erlebte damals eine Blüte (und leider auch einen Schwanengesang) elsässisch-alemannischer Regionalkultur.

André Weckmann wollte stets eine Verbindung von Heimat und Welt, von Überlieferung und Moderne, von Natur und Mensch. In einem seiner programmatischen Texte stellt er die Frage: "Was ist nun diese -Alemannische Internationale-? Eine Idee, die es uns erlaubt, aus unserer Eingeengtheit herauszubrechen, ohne aber deshalb einer entwurzelnden Globalisierung zu verfallen."

Wer Menschen und Landschaft am Rhein, insbesondere aber die Geschichte, die Badener und Elsässer, Deutsche und Franzosen früher trennte und heute verbindet, verstehen will, der sollte auch heute seine Bücher und Gedichte lesen. „Geschichten aus Soranien, Sechs Briefe aus Berlin, Die Fahrt nach Wyhl, Odile oder das magische Dreieck“ und „Schwarze Hornissen. Erzählungen aus dem sonderbaren Land, das Elsass heißt“, sind nur eine kleine Auswahl. Der kleine, schwarze Gedichtband „Schang d’Sunn schint schun lang“ ist ein poetisches Kleinod.

Es gibt hunderte von Büchern über das Elsass. Reiseführer, Bildbände, Literatur und Gedichtbände. Und es gibt Weckmanns großes Elsass-Buch "Wie die Würfel fallen". Beschrieben werden in einer kraftvollen, bildreichen Sprache zwei elsässische Dörfer, Ixe und Zette, also Ixheim und Zettheim, zwei „Käffer“, die für hunderte ähnliche Dörfer nicht nur auf der französischen Seite der großen Rheinebene stehen. Weckmann hat es verstanden, Menschen, Kultur und elsässische Regionalgeschichte in einem grandiosen, mehr als lesenswerten Werk zusammenzufügen. 1981 war sein Buch ein zeitgenössischer Roman aus dem Elsass. Doch noch heute beschreibt es treffsicher die elsässischen Dörfer zwischen Mais, Autobahnen, neonschrillen Ortseinfahrten, Tourismus, Romantik, Zerstörung und den schleichenden Niedergang von regionaler Kultur, Sprache und Vielfalt. In Zeiten, in denen Begriffe wie Heimat und Dialekt gezielt missbraucht und umgedeutet werden, ist Weckmanns Literatur besonders wichtig. Die blumige Beschreibung vom „Brünnelein“ und „Bächelein“ waren nie Weckmanns Sache. Er war ein tief in regionaler Sprache und Kultur verwurzelter, progressiver Heimatdichter und sein Heimatbegriff war tolerant und weltoffen.

Wer das Elsass, seine Menschen, seine Geschichte und den elsässischen Dialekt zumindest ansatzweise verstehen will, sollte dieses Buch „Wie die Würfel fallen“ (das es leider nur noch antiquarisch gibt) gelesen haben.

André Weckmann war Franzose, Elsässer und vor allem immer auch ein großer Humanist und Europäer. Sein Europa war immer das Europa der Menschen und die Zweisprachigkeit am Oberrhein war ihm ein Herzensanliegen. An seinem hundertsten Geburtstag sollten wir uns nicht nur an ihn erinnern, wir sollten ihn auch wieder einmal lesen.

Axel Mayer, Endingen (Der Autor erinnert sich gerne an Lesungen von und mit André Weckmann vor 50 Jahren in der Volkshochschule Wyhler Wald)



André Weckmann: DICHTER SEIN IM ELSASS


Es geht uns darum, dem Menschen, der im Elsass mit einer existenziellen Frage konfrontiert ist, Überlebenshilfe zu geben, ihm zu helfen, seine Substanz zu retten und seine Identität wiederzufinden. Denn nur wer weiss, wer er ist, nur wer sein Gleichgewicht gefunden hat, nur wer tiefe Wurzeln hat, kann sich frei entfalten, ist stark genug, sich selbst zu verwalten und seine kulturelle und soziale Zukunft selbst zu bestimmen.



Die Hauptbedingung zur Verwirklichung dieses Wunschtraums ist - so paradox das für ein- oder hochsprachige Beobachter klingen mag - dass der Dialekt das Fundament unserer kulturellen Existenz bleibt.

Denn ohne ihn, der die wichtigste und originellste Ausdrucksform unserer Persönlichkeit ist, ginge unsere Eigenart verloren. Und ohne ihn wäre keine echte französisch-deutsche Zweisprachigkeit möglich. Er steht vor den beiden Hochsprachen nicht als Feind, sondern als Partner, der sich im französischen Staatsraum bewegt als Regionalsprache und der zudem die Tür gross öffnet zur deutschen Standardsprache, also zur gesamtdeutschen Kulturwelt. Es handelt sich also nicht darum, das Elsass in seiner Bodenständigkeit abzukapseln und verspiessern zu lassen. Es sollen vielmehr die vielgestaltigen Möglichkeiten, die diese Provinz bietet, dazu benutzt werden, unsere Horizonte zu weiten. Denn elsässische Zweisprachigkeit soll Verwurzelung und Weltoffenheit zugleich sein.

Auszug aus der Rede von André Weckmann bei der Verleihung des (badischen) Hebel-Preises 1976



Alemannisch, Badisch, Elsässisch, Schweizerdeutsch, Dialekt & "Hoch"deutsch:
Kritische Texte und Gedichte aus Südbaden, Elsass, Nordschweiz und dem Rest der Welt


In diesen Zeiten von Barbarei, Gier, Kriegen und Gewalt stärkt Dummheit Dummheit und Intoleranz verstärkt Intoleranz. In diesen Jahren der Umwelt- und Innenweltverschmutzung stehen nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Sprachen und Dialekte auf der Liste der bedrohten Arten. Der Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der an einem altsprachlichen Eliteinternat Latein lernte und gerade seine undemokratischen Weltmachtträume realisiert hält Sprache für eine veraltete Software, die schon bald obsolet sein wird. Mehr als die Hälfte aller weltweit gesprochenen Sprachen drohen in naher Zukunft zu verschwinden – und damit ein wertvoller Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Allein 600 dieser insgesamt rund 3.660 gefährdeten Sprachen könnten sogar schon in wenigen Jahren vollständig ausgestorben sein.
Darum finden Sie auf mitwelt.org kritische und engagierte Texte, alemannisch, schwyzerdütsch, elsässisch und hochdeutsch. Doch wir wissen, dass bedrohte Tierarten nicht in der Genbank und bedrohte Sprachen nicht im Museum und im Internet überleben.
Menschen, die Überschallflugzeuge, unbegrenztes Wachstum, Atomenergie, Agrargifte, Freihandel und Weltraumtourismus für Fortschritt und die Hitparade der Volksmusik für Kultur halten, die Gedichte über das "Blümelein", das "Bächelein" und das "Brünnelein" suchen, wird diese Seite nicht gefallen.

Dialekt ist bunte, kluge, kulturelle Vielfalt und nicht monokulturelle Einfalt. Dialekt ist immer auch „regionale Identität“ und steht gegen die „Kolonisierung der Lebensweltin der Megamaschine“ und gegen die zunehmende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Wir danken den vielen Autorinnen & Autoren, die uns schon erlaubt haben, Texte hier einzustellen. Auf Wunsch löschen wir Texte aber auch sofort.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein



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