Johann Peter Hebel heute: Die Vergänglichkeit in Zeiten von Klimakatastrophe, Waldsterben, Artenausrottung und Demoktatiegefährdung


Veröffentlicht am 01.12.2023


Johann Peter Hebel aktuell: Die Vergänglichkeit heute


Ein Gedicht aus dem Jahr 1803, passend zum Anthropozän, zu Klimawandel, Wachstumsreligion, Atommüllproduktion, Artenausrottung, Kriegen und Atomwaffen ...

Johann Peter Hebel (1760 -1826) war ein Schriftsteller, evangelischer Geistlicher und Lehrer. Aufgrund seines Gedichtbands -Alemannische Gedichte- gilt er gemeinhin als Pionier der alemannischen Mundartliteratur. Heute ist er auch ein wenig ein "Säulenheiliger" des Dialekts. Gerade die "Säulenheiligen" müssen ab und zu ein wenig entstaubt werden, auch um die Aktualität von Dialekt zu zeigen und um Diskussionen anzustoßen.

Darum habe ich die oben stehende, freche Kleinanzeige am 19.9.2020, als Demo-Aufruf für Fridays for Future, in der BZ aufgegeben.

Der Text stammt aus Johann Peter Hebels Gedicht aus dem Jahr 1803: Die Vergänglichkeit. Ein manchmal schwer zu lesender, dennoch sehr lesenswerter Text.
Axel Mayer

Auszug:
Und mit der Zit verbrennt die ganzi Welt.(...)
Der Belche stoht verchohlt,
der Blauen au, as wie zwee alti Türn,
und zwische drin isch alles use brennt,
bis tief in Boden abe. D'Wiese het
ke Wasser meh, 's isch alles öd und schwarz,
und totestill, so wit me luegt.
Lueg, dört isch d'Erde gsi,
und selle Berg het Belche gheiße!"
...


Johann Peter Hebel: Die Vergänglichkeit


Der Bueb seit zum Ätti:
Fast allmol, Ätti, wenn mer's Röttler Schloß
so vor den Auge stoht, se denki dra,
öb's üsem Hus echt au e mol so goht.
Stoht's denn nit dört, so schuderig, wie der Tod
im Basler Totetanz? Es gruset eim,
wie länger as me's bschaut. Und üser Hus,
es sitzt so wie ne Chilchli uffem Berg,
und d'Fenster glitzeren, es isch e Staat.
Schwetz, Ätti, goht's em echterst au no so?
I mein emol, es chönn schier gar nit si.

Der Ätti seit:
Du guete Burst, 's cha frili si, was meinsch?
's chunnt allesjung und neu, und alles schliicht
sim Alter zue, und alles nimmt en End,
und nüt stoht still. Hörsch nit, wie 's Wasser ruuscht,
und siehsch am Himmel obe Stern an Stern?
Me meint, vo alle rüehr sie kein, und doch
ruckt alles witers, alles chunnt und goht.
Je, 's isch nit anderst, lueg mi a, wie d'witt.
De bisch no jung; Närsch, ich bi au so gsi,
jez würd's mer anderst, 's Alter, 's Alter chunnt,
und woni gang, go Gresgen oder Wies,
in Feld und Wald, go Basel oder heim,
's isch einerlei, i gang im Chilchhof zue
briegg, alder nit! und bis de bisch wien ich,
e gstandne Ma, se bini nümme do,
und d'Schof und Geiße weide uf mi'm Grab.
Jo wegerli, und 's Hus wird alt und wüest;
der Rege wäscht der's wüester alli Nacht,
und d'Sunne bleicht der's schwärzer affi Tag,
und im Vertäfer popperet der Wurm.
Es regnet no dur d'Bühni ab, es pfift
Der Wind dur d'Chlimse. Drüber tuesch du au
no d'Auge zue; es chömme Chindeschind,
und pletze dra. Z'letzt fuults im Fundement,
und's hilft nüt me. Und wemme nootno gar
zweitusig zählt, isch alles z'semme gkeit.
Und 's Dörfli sinkt no selber in si Grab.
Wo d'Chilche stoht, wo 's Vogts und 's Here Hus,
goht mit der Zit der Pflueg

Der Bueb seit:
Nei, was de seisch!

Der Ätti seit:
Je, 's isch nit anderst, lueg mi a, wie d' witt!
Isch Basel nit e schöni, tolli Stadt?
's sin Hüser drin, 's isch mengi Chilche nit
so groß, und Chilche, 's sin in mengem Dorf
nit so viel Hüser. 's isch e Volchspiel, 's wohnt
e Richtum drinn, und menge brave Her,
und menge, woni gchennt ha, lit scho lang
im Chrützgang hinterm Münsterplatz und schloft.
's isch eitue, Chind, es schlacht e mol e Stund,
goht Basel au ins Grab, und streckt no do
und dört e Glied zum Boden us, e Joch,
en alte Turn, e Giebelwand; es wachst
do Holder druf, do Büechli, Tanne dört,
und Moos und Farn, und Reiger niste drin
's isch schad derfür!und sin bis dörthi d'Lüt
so närsch wie jez, se göhn au Gspenster um.
D'Frau Faste, 's isch mer jez, sie fang scho a,
me seit's emol, - der Lippi, Läppeli,
und was weiß ich, wer meh? Was stoßisch mi?

Der Bueb seit:
Schwetz lisli, Ätti, bis mer über d'Bruck
do sin, und do an Berg und Wald verbei!
Dört obe jagt e wilde Jäger, weisch?
Und lueg, do niden in de Hürste seig
gwiß's Eiermeidli g'Iege, halber fuul,
's isch Johr und Tag. Hörsch, wie der Laubi schnuuft?

Der Ätti seit:
Er het der Pfnüsel! Seig doch nit so närsch!
Hüst, Laubi, Merz!und loß die Tote go,
sie tüen der nüt meh! Je, was hani gseit?
Vo Basel, aß es au e mol verfallt.
Und goht in langer Zit e Wandersma
ne halbi Stund, e Stund wit dra verbei,
se luegt er dure, lit ke Nebel druf,
und seit si'm Kamerad, wo mittem goht:
"Lueg, dört isch Basel gstande! Selle Turn
seig d'Peterschilche gsi, 's isch schad derfür!"

Der Bueb seit:
Nei, Atti, isch's der Ernst? Es cha nit si!



Der Ätti seit:
Je 's isch nit anderst, lueg mi a, wie d'witt,
und mit der Zit verbrennt die ganzi Welt.
Es goht e Wächter us um Mitternacht,
e fremde Ma, me weiß nit, wer er isch,
er funklet, wie ne Stern, und rüeft: "Wacht auf!
Wacht auf, es kommt der Tag!" Drob rötet si
der Himmel, und es dundert überal,
z erst heimlig, alsg'mach lut, wie sellemol,
wo Anno Sechsenünzgi der Franzos
so uding gschosse het. Der Bode schwankt,
aß d'Chilchtüm guge; d'Glocke schlagen a,
und lüte selber Bettzit wit und breit,
und alles bettet. Drüber chunnt der Tag;
o, b'hüetis Gott, me brucht ke Sunn derzue,
der Himmel stoht im Blitz, und d'Welt im Glast.
Druf gschieht no viel, i a jez nit der Zit;
und endli zündet's a, und brennt und brennt,
wo Boden isch, und niemes löscht. Es glumst
wohl selber ab. Wie meinsch, sieht's us derno?

Der Bueb seit:
O Ätti, sag mer nüt me! Zwor wie goht's
de Lüte denn, wenn alles brennt und brennt?

Der Ätti seit:
He, d'Lüt sin nümme do, wenn's brennt, sie sin
wo sin sie? Seig du frumm, und halt di wohl,
geb, wo de bisch, und bhalt di Gwisse rein!
Siehsch nit, wie d'Luft mit schöne Sterne prangt!
's isch jede Stern verglichlige ne Dorf,
und witer obe seig e schöni Stadt,
me sieht si nit vo do, und haltsch di guet,
se chunnsch in so ne Stern, und 's isch der wohl,
und findsch der Ätti dört, wenn's Gottswill isch,
und's Chüngi selig, d'Muetter. Obbe fahrsch
au d'Milchstroß uf in de verborgni Stadt,
und wenn de sitwärts abe luegsch, was siehsch?
e Röttler Schloß! Der Belche stoht verchohlt,
der Blauen au, as wie zwee alti Türn,
und zwische drin isch alles use brennt,
bis tief in Boden abe. D'Wiese het
ke Wasser meh, 's isch alles öd und schwarz,
und totestill, so wit me luegtdas siehsch,
und seisch di'm Kamerad, wo mitder goht:
"Lueg, dört isch d'Erde gsi, und selle Berg
het Belche gheiße! Nit gar wit dervo
isch Wisleth gsi; dört hani au scho glebt,
und Stiere gwettet, Holz go Basel g'füehrt,
und brochet, Matte g'rauft, und Liechtspöh' g'macht,
und g'vätterlet, bis an mi selig End,
und möcht jez nümme hi." Hüst Laubi, Merz!



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Alemannisch, Badisch, Elsässisch, Schweizerdeutsch, Dialekt & "Hoch"deutsch:
Kritische Texte und Gedichte aus Südbaden, Elsass, Nordschweiz und dem Rest der Welt


In diesen Zeiten von Barbarei, Gier, Kriegen und Gewalt stärkt Dummheit Dummheit und Intoleranz verstärkt Intoleranz. In diesen Jahren der Umwelt- und Innenweltverschmutzung stehen nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch Sprachen und Dialekte auf der Liste der bedrohten Arten. Der Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der an einem altsprachlichen Eliteinternat Latein lernte und gerade seine undemokratischen Weltmachtträume realisiert hält Sprache für eine veraltete Software, die schon bald obsolet sein wird. Mehr als die Hälfte aller weltweit gesprochenen Sprachen drohen in naher Zukunft zu verschwinden – und damit ein wertvoller Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Allein 600 dieser insgesamt rund 3.660 gefährdeten Sprachen könnten sogar schon in wenigen Jahren vollständig ausgestorben sein.
Darum finden Sie auf mitwelt.org kritische und engagierte Texte, alemannisch, schwyzerdütsch, elsässisch und hochdeutsch. Doch wir wissen, dass bedrohte Tierarten nicht in der Genbank und bedrohte Sprachen nicht im Museum und im Internet überleben.
Menschen, die Überschallflugzeuge, unbegrenztes Wachstum, Atomenergie, Agrargifte, Freihandel und Weltraumtourismus für Fortschritt und die Hitparade der Volksmusik für Kultur halten, die Gedichte über das "Blümelein", das "Bächelein" und das "Brünnelein" suchen, wird diese Seite nicht gefallen.

Dialekt ist bunte, kluge, kulturelle Vielfalt und nicht monokulturelle Einfalt. Dialekt ist immer auch „regionale Identität“ und steht gegen die „Kolonisierung der Lebensweltin der Megamaschine“ und gegen die zunehmende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Wir danken den vielen Autorinnen & Autoren, die uns schon erlaubt haben, Texte hier einzustellen. Auf Wunsch löschen wir Texte aber auch sofort.

Axel Mayer, Mitwelt Stiftung Oberrhein



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